Gedanken zu Widersprüchen in der Frauenbewegung (Fh 2011/2)

von Beri Fahrbach-Gansky

„Die Zukunft ist weiblich“ ist der Titel eines Artikels, den ich mit wachsender Verblüffung las. Die Behauptung wurde scheinbar plausibel mit Fakten, Statistiken und Beobachtungen begründet.(1) Sie erwies sich bei näherem Hinsehen als widersprüchlich, und das ist symptomatisch für viele Teile der Frauenbewegung. Für diese Ungereimtheiten, die auch anderen auffallen (siehe Fh 4/2010), will ich in diesem Artikel nach Gründen suchen.

Sigmund Freud brachte den Begriff „Penisneid“ auf. Er konnte sich gar nichts anderes vorstellen, als dass das kleine Mädchen sich durch das „überlegene Gegenstück“ des Jungen „geschädigt“ und „um ein Stück verkürzt sieht“ (2). Natürlich wurde Freud wegen solcher Ansichten kritisiert. Logisch wäre es aber gewesen, die natürliche Ausstattung des Mädchens, die Gebärmutter, radikal aufzuwerten.

Auch, was Frauen leisten, wurde und wird noch immer grundsätzlich geringer bewertet oder erst gar nicht wahrgenommen. Lebenstauglich erzogene Kinder werden nicht als Erfolg bezeichnet. Mütter „opfern“ sich. Männer opfern weder sich noch ihre Gesundheit noch ihr Privatleben dem Beruf – sie machen „Karriere“. Hier wäre das logische Gegenstück gewesen, für alle weibliche Arbeit, also auch für Familienarbeit und typische Frauenberufe, die gebührende Anerkennung zu fordern. Es gibt durchaus Teile der Frauenbewegung – unser Verband gehört dazu – die diese Anerkennung schon lange fordern und umsetzen.

Das erste Dilemma ist also: Nicht die „traditionelle Rollenverteilung“ (in Bezug auf Mütter ein Schimpfwort) ist das Grundproblem, sondern die extrem unterschiedliche Bewertung von Frau und Mann und ihrem Tun.
Statt nun alle Arbeit der Frauen genauso zu achten wie die der Männer, gingen die Bemühungen dahin, Beweise zu sammeln, dass Frauen genauso intelligent, intellektuell, künstlerisch und technisch begabt, zu Handwerk und Handel usw. fähig sind wie Männer. Die Vergleichsgröße ist dabei doch immer wieder der Mann. Entsprechend mütterliche Eigenschaften und Fähigkeiten zu erforschen war bis vor kurzem undenkbar (3). Die Vorstellung vom Mann als dem eigentlichen Menschen und dem Maß aller Dinge sitzt offensichtlich tief.

Diese nicht hinterfragten Wertungen sorgen für reichlich Widersprüche:
Im anfangs erwähnten Artikel wird die Aussage: „die Zukunft ist weiblich“ damit belegt, dass Mädchen im Schnitt höhere Bildungsabschlüsse haben. Die Mädchen sind also in einem System erfolgreicher, das auf Leistungs- und Konkurrenzdenken, auf Macht und Dominanz basiert. Und das wird aufgrund der entsprechenden Werte positiv gesehen. Was ist daran weiblich? Nichts wird hinterfragt. Anderseits sollen sie als „eierlegende Wollmilchsau“ dem durch diese „Werte“ verhunzten Erdball zur ökologischen Kehrtwende verhelfen.

Das zweite Dilemma ist: Jedes Verwirklichen von Idealen oder Werten führt sehr leicht dazu, dass es in Konflikt mit eben diesen Idealen und Werten gerät. Da ist z.B. die Mutter, die ihrem Kind das Spielzeug, das es einem anderen Kind weggenommen hat, mit den Worten entwindet: „Man darf anderen nichts wegnehmen!“
Menschen können Dinge für sich entscheiden und für sich tun, z.B. sich vegetarisch ernähren. Völlig anders verhält es sich mit der Emanzipation. Ihr Ziel ist es ja, die Beziehung der Frau zu anderen, ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft zu verändern. Das geht naturgemäß nicht ohne eine Verhaltensänderung der anderen, zumindest nicht ohne deren Toleranz. Eine Frau, die sich emanzipieren will, muss Einfluss auf ihr Umfeld nehmen. Was aber ist, wenn das Umfeld nicht mitzieht?

Vor zwanzig bis dreißig Jahren war das Ideal, dass sich Eltern die Erziehungs- und Hausarbeit hälftig teilen und ebenso die Erwerbsarbeit. Tatsächlich zog in der Gesellschaft kaum jemand mit. Statt sich nun folgerichtig mit den Männern und der Wirtschaft anzulegen, versuchten die Frauen, sich ohne Männer Gleichberechtigung zu verschaffen, indem sie die „traditionelle Rolle“ des Mannes (hier auf einmal kein Schimpfwort) zum einzig Erstrebenswerten erhoben. Kinder wurden damit zum Hindernis und die traditionell lebenden Frauen zur Zielscheibe. Die Abwertung von Müttern und dem, was sie taten, wurde auf den Gipfel getrieben. Und diese Verschiebung von der Bekämpfung der Verhältnisse zur Bekämpfung der Mütter ist das dritte Dilemma. Aus der angeblichen Minderwertigkeit der Mütter erwuchs der Anspruch, sie zur “Emanzipation“ zwingen zu dürfen – eine Verletzung der Grundrechte! In einen krasseren Widerspruch zu ihren eigenen Ideen hätte dieser Teil der Frauenbewegung gar nicht geraten können.

Diese Dynamik ist auch psychologisch erklärbar (4): Statt eine eigene Identität und eigenes Selbstwertgefühl zu entwickeln, identifiziert sich die unterdrückte und benachteiligte Frau mit dem Mann. Damit hat sie teil an seiner Macht, seinen Privilegien und seiner unbewusst unbezweifelten Überlegenheit. So überwindet sie zwar das Gefühl der Unterdrückung und Benachteiligung, wird aber selber zur Unterdrückerin ihrer Geschlechtsgenossinnen und der Kinder.

Das Zusammenspiel dieser drei genannten Faktoren hat dazu geführt, dass Feminismus und Frauenemanzipation heute in vielen Bereichen exakt das Gegenteil von dem bewirken, was sie erstrebten:

Vorenthalten von Rechten statt deren Durchsetzung:
Die Durchsetzung von Rechten, z.B. des Eherechts, wird nicht logisch weitergeführt, bestehende Rechte werden nicht umgesetzt, trotz Verfassungsurteilen oder Stellungnahmen (Rentenrecht), und es werden neuerdings Rechte (Fürsorgerecht der Eltern) angegriffen. Gleiche Rechte für alle – aber nur für Erwerbstätige! – Mütter sind nicht gleich genug.

Armut statt Teilhabe:
Ausgerechnet das Armutsrisiko von Frauen, wenn sie Mütter werden, hat extrem zugenommen.

Unfreiheit statt Wahlfreiheit und neue Zwänge statt Entwicklung:
Die alten Rollenerwartungen wurden schlicht durch neue ersetzt, nicht durch mehr Freiheit. Frau soll auch als Mutter lückenlos und in Vollzeit erwerbstätig sein. Dass Eltern flexibel, je nach Lebensumständen und Vorlieben, in Verantwortung gegenüber ihren Kindern ihr Leben gestalten können, wird durch politische Weichenstellung (finanzieller Druck) und gesellschaftlich/mediale Stimmungsmache immer schwieriger. D.h., die neuen Systeme nehmen zusehends die Starrheit und Dominanz der alten Systeme an.

Angesichts dieser Sachlage ist es reichlich merk­würdig zu jubeln, die Zukunft sei weiblich.
Diese Widersprüche und Ungereimtheiten müssen thematisiert und überwunden werden. Denn nur, was von allen, auch von Müttern und Kindern, getragen werden kann, hat Zukunft.

Fußnoten:
1 Susie Reinhardt: Die Zukunft ist weiblich. In: Psychologie heute Juli/2010, S. 28-31
2 Wolfgang Schmidbauer: Emanzipation in der Gruppe. Piper Verlag, München 1974.
3 Katherine Ellison: The Mommy Brain: How Motherhood Makes Us Smarter. Verlag Basic Books, New York 2005.
4 Vgl. Fußnote 2

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