„Die deutsche Angst vorm Kinderkriegen“ (Fh 2012/1)

von Dr. Johannes Resch

Die deutsche Angst … Unter diesem Titel veröffentlichte kürzlich die Firma Milupa die Ergebnisse einer Studie. Diese hatte sie beim Rheingold-Institut, das sich sonst vor allem mit Werbepsychologie befasst, in Auftrag gegeben. Die Studie unterscheidet sich von solchen, die von der Bundesregierung gefördert werden: Sie ist keine „Hofberichterstattung“, mit der das politisch gewollte Ideal der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ propagiert wird. Im Gegensatz dazu ist das Bemühen erkennbar, die Hintergründe der „deutschen Angst vorm Kinderkriegen“ zu erfahren, was schließlich auch im Interesse von Milupa liegen dürfte.

Zur Methode: Es wurden im Herbst 2009 über 1.000 junge Mütter, Schwangere und andere junge Frauen mit und ohne Kinderwunsch „in jeweils zweistündigen Tiefeninterviews“ von Psychologen befragt, „um ein klares Bild von der Situation der Mütter in Deutschland“ zu erhalten.
Dazu ein Zitat aus der Studie:
„Deutsche Mütter heutzutage möchten nach außen und vor sich selbst einen möglichst gelassenen Eindruck vermitteln. 78 Prozent der befragten Frauen tragen Gelassenheit als große Vision beim Thema Kinderkriegen und Kinderhaben vor sich her, allerdings nur 44 Prozent fühlen sich beim Thema Kinder wirklich entspannt.
Denn der schöne Schein trügt. Viele deutsche Mütter sind verunsichert, fühlen sich oft genug überfordert und sehen sich einem permanenten Perfektionsdruck ausgesetzt. Tief in ihnen brodeln elementare Verlustängste und eine tiefe Unzufriedenheit.“

Das zieht sich als roter Faden durch die Ergebnisse der Befragung: Viele Mütter wollen dem politisch propagierten Ideal der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ entsprechen, schaffen das aber nicht.
Diese Feststellung deckt sich mit anderen Beobachtungen, nach denen ein zunehmendes „Burn-out-Syndrom“ beschrieben wird bei Müttern, die gleichzeitig eine gute Mutter und erfolgreich im Erwerbsleben sein wollen (www.urbia.de).
Die Studie zeigt, dass zumindest im Unterbewusstsein der auf politischer Ebene propagierten Maxime misstraut wird.
Zitat: „Interessant ist die Tatsache, dass die Mamas von heute ungestützt weit mehr Vertrauen in Unternehmen wie Milupa haben als in die deutsche Politik.“ Im Studienbericht wird empfohlen: „Unternehmen sollten sich stark machen für Mütter“.

Als Konsequenz aus der Studie schlagen die Autoren „Projekte und Kampagnen“ vor, „die einen inneren Haltungswechsel der Gesellschaft zum Anspruch an Mütter bewirken.“ Sie zeigen damit, dass sie die Ursache der beobachteten Defizite in erster Linie in einer übersteigerten Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Mütter sehen, die zu korrigieren sei. Die Frage, ob dafür handfeste Fehler innerhalb unserer Gesellschaftsstruktur verantwortlich sind, wird leider nicht gestellt. Vermutlich bleiben die Autoren in ihrem gewohnten Denken als Werbepsychologen gefangen.
Damit soll der Wert der Studie keinesfalls in Frage gestellt werden. Er liegt in der anschaulichen Darstellung der psychologischen Situation von Müttern. Die Aufforderung der Autoren an Unternehmen wie Milupa, sie sollten sich für Mütter engagieren, zeigt auch, dass sie dem kindbezogenen Teil der Wirtschaft mehr zutrauen als den politisch Verantwortlichen. Unrealistisch ist das nicht. Schließlich sind die Kinder und ihre Eltern die Kunden für diesen Teil der Wirtschaft. Für Politiker sind aber Kinder keine Wähler und ihre Eltern schon längst zur Wählerminderheit geworden.

So weit die „Milupa-Studie“.
Sind nun deren Deutungen vielleicht eine Überinterpretation wichtigtuerischer Psychologen? Ich glaube das nicht. Sie finden in der Statistik der Deutschen Rentenversicherung eine Bestätigung. Diese zeigt nämlich, dass es immer mehr Frühberentungen wegen psychischer Störungen gibt. Frauen sind dabei fast doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Zwar zeigt die Statistik nicht, wie hoch der Anteil der Mütter ist. Der Schluss liegt aber nahe, dass es besonders Mütter sind, die im „Hamsterrad Familie und Beruf“ im Burn-out-Syndrom („Ausgebranntsein“) landen.
Mütter, die diesem Schicksal entfliehen wollen, können ihre Erwerbstätigkeit einschränken oder ganz darauf verzichten, um sich ihren Kindern zu widmen. Dann werden sie als „faul“ beschimpft. Die Geringschätzung ihrer Tätigkeit ist dann ebenfalls ein Boden für psychische Störungen, in diesem Fall bevorzugt für Depressionen.

Wer als Frau die Zwickmühle zwischen Hamsterrad und Aschenputtel-Image vermeiden will, hat den „Ausweg“, auf die „Mutterrolle“ zu verzichten. Dann ist eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit ohne Überforderung möglich; dann kann man sich auf eine hohe Rente freuen, die von den Kindern der Mütter bezahlt werden muss.
Diese Frauen nehmen also Vorrechte gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen in Anspruch, die sonst nur kinderlose Männer haben. Sie betrachten sich oft als „Feministinnen“, haben aber frühere Vorrechte der Männer für ihre eigene Person in hohem Maß verinnerlicht und sind in Wirklichkeit „patriarchalisierte Frauen“1).

Was kann aber nun Unternehmen wie Milupa empfohlen werden, die mit Recht durch die Vernachlässigung von Mütterinteressen beunruhigt sind? Sollen sie die Propaganda-Feldzüge der Bundesregierung konterkarieren?
Ein solcher „Krieg der Ideologien“ würde der Wahrheitsfindung vermutlich nicht dienen. Richtiger ist es, zunächst danach zu fragen, wo die strukturellen Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft liegen, die den Müttern das Leben schwer machen, indem ihre Leistung nicht angemessen gewürdigt wird und ihnen daher nur die Alternative zwischen „Patriarchalisierung“ oder Hamsterrad lässt.
Schon in der herkömmlichen Familie war es so, dass die Arbeit des männlichen „Ernährers“ mehr galt als die häusliche Arbeit einer Mutter. Davon unberührt blieb aber der von den Müttern erarbeitete „wirtschaftliche Mehrwert“ in Form der sozialen Sicherung durch die Kinder für Krankheit und Alter innerhalb der Familie. Jeder Vater spürte, dass die Arbeit der Mutter auch seiner persönlichen sozialen Sicherheit für Krankheit und Alter diente. Das „patriarchalische Denken“ beschränkte sich damit auf das Innenleben der Familie und hatte keine Auswirkungen auf deren soziale Gesamtsituation innerhalb der Gesellschaft.

Im Rahmen der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung wurde das ursprünglich auf das Innenverhältnis der Familie beschränkte „patriarchale Denken“ auf die ganze Gesellschaft übertragen. Unter Missachtung der Erziehungsleistung wurde der von den Müttern erwirtschaftete Mehrwert nicht mehr den Eltern belassen, sondern als „Alterslohn“ an vorangegangene Erwerbsarbeit gekoppelt. Plötzlich profitierten Leute ohne Kinder von den Kindern anderer mehr als deren Eltern.
Damit erfolgte eine ungleich krassere Abwertung der Erziehungsarbeit, als das zuvor innerhalb der Familie der Fall war. Geschädigt waren aber jetzt nicht nur die Mütter, sondern mit ihnen auch die Väter. Diese gaben zumindest im Unterbewusstsein oft den Müttern die Schuld dafür, was wiederum deren psychologische Situation zusätzlich verschlechtern musste.

Es ist unbestreitbar, dass unser heutiges, auf Abwertung der Erziehungsarbeit beruhende Sozialsystem von patriarchalisch denkenden Männern wie Adenauer geschaffen wurde.
Beispielhaft dafür ist die Rentenreform 1957. Frauen spielten damals in der Politik noch eine geringe Rolle. Inzwischen wird diese mütter- und elternfeindliche Haltung aber am stärksten von Frauen verinnerlicht, die sich als feministisch bezeichnen und vorgeben, die Interessen von Frauen zu vertreten, aber ausschließlich in der Erwerbsarbeit eine Möglichkeit der „Selbstverwirklichung“ sehen. Begriffe, die eine Abwertung der Erziehungsarbeit zum Ausdruck bringen (wie „Herdprämie“ oder „Gluckengeld“) werden heute besonders von „patriarchalisierten Frauen“ verwendet und von Männern oft nur nachgeplappert.

Die Milupa-Studie bestätigt mal wieder, dass das heute von allen fünf Bundestagsparteien propagierte „Hamsterrad Familie und Beruf“ kein zukunftsfähiger Weg ist. Schon das Schlagwort der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ vermittelt unterschwellig eine Abwertung der Erziehungsleistung. Es vermittelt ja, dass Arbeit für Kinder und Pflegebedürftige in der Familie kein „Beruf“ sei. Damit werden Wertmaßstäbe gesetzt, denen nur noch durch Verzicht auf Kinder entsprochen werden kann. Bleibt unsere Gesellschaft bei dieser kinderfeindlichen Wertorientierung, hat sie sicher keine Zukunft.

Quelle:
1 Kirsten Armbruster: Starke Mütter verändern die Welt. Was schiefläuft und wie wir Gutes Leben für alle erreichen. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2007. ISBN: 978-3-922499-97-8. Buchvorstellung in Fh 2008/3, S. 4

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