Plädoyer für das Ehegattensplitting – Fh 2011/4

von Wiltraud Beckenbach

In der Zeitschrift „Brigitte“ vom 6.4.2011 veröffentlichte die Finanz-Expertin Helma Sick in Zusammenarbeit mit Heide Härtel-Herrmann vom Frauenfinanzdienst Köln einen Artikel zum Ehegattensplitting. Einführend heißt es dort: „Brigitte-Expertin Helma Sick fordert die Abschaffung staatlicher Subventionen für Ehepaare mit klassischer Rollenverteilung.“

Daraufhin schrieb ich beiden Autorinnen:

Sehr geehrte Frau Sick,
sehr geehrte Frau Härtel-Herrmann,

Ihr Beitrag in Brigitte 9/2011 „Hausfrauen-Ehe: Wann ist endlich Schluss mit diesem Privileg?“ zum Ehegattensplitting kann nicht unwidersprochen bleiben. Er zeugt von einer höchst einseitigen Sicht der Wirklichkeit.

Frage: Wer gilt bei Ihnen als kinderlos? Das Stat. Bundesamt weist 2008 zehn Prozent der 40- bis 44-Jährigen als kinderlos aus. Sind Eltern, deren Kinder aus dem Haus sind, kinderlos? Die Einbußen, die vor allem Mütter infolge Kindererziehung bei ihrer Alterssicherung haben, sind eklatant. Ebenso wenig nachvollziehbar ist das von Ihnen benannte Einkommensbeispiel. Laut Rentenversicherung liegt das Durchschnittseinkommen bei ca. 30.000 Euro. Ihr Beispiel mit dem doppelten Einkommen legt Voreingenommenheit nahe.

Das Ehegattensplitting sorgt dafür, dass alle Einzelpersonen und Ehepaare mit gleichem Pro-Kopf-Einkommen gleich viel Steuern zahlen. Dabei zählt in der Ehe das Gesamteinkommen, unabhängig davon, wer es erwirtschaftet hat. Wer das Ehegattensplitting als Privilegierung bezeichnet, verkennt die Zusammenhänge.

Auf das oben genannte Durchschnittseinkommen zahlt ein Ehepaar rund 1.634 Euro Steuern (= 136 €/Monat). Ohne Splitting und unter Berücksichtigung des steuerlichen Grundfreibetrages für jeden Erwachsenen in Höhe von 7.664 Euro wären 1.860 Euro Steuern zu zahlen. Für das gleiche Einkommen müssen in Steuerklasse I an Steuern 2.646 Euro (= 220 €/Monat) gezahlt werden. Somit beträgt der Splitting“vorteil“ ganze 84 Euro/Monat. Für diesen Betrag seine Kinder zu erziehen ist kein Geschäft, sondern Idealismus.

Menschen mit gutem Verdienst haben viele andere Möglichkeiten, Vermögen zu übertragen und Steuern zu sparen.
Dazu Paul Kirchhof: „Die Begüterten, die über viel Vermögen verfügen und gut beraten sind, gründen die Familien-KG. Und in diese Familien-KG nehmen sie Sohn und Tochter beim ersten Schrei als Kommanditisten hinein, und dann können diese Kinder mehr als 15 % ihres Kapitalanteils jährlich als Einkommen für sich beziehen mit eigenen Steuerfreibeträgen und mit einem abgesenkten Progressionssatz. Und was für die Reichen gilt, muss dann zumindest im Ehegattensplitting auch für den Einkommensteuermittelstand gelten.“

Die Ersparnis durch Wegfall des Splittingvorteils bei kinderlosen Ehen ist eher gering. Laut Statistik sind über 80 % der verheirateten kinderlosen Frauen meist vollzeiterwerbstätig. Wohingegen mehr als 80 % der kinderreichen Eltern mit drei und mehr Kindern meist in Alleinverdienerhaushalten (überwiegend eher schlecht als recht) leben. Wer dazu noch zusätzlich erwerbstätig ist, arbeitet in Teilzeit. Diese Familienformen steuerlich zu benachteiligen und ihnen evtl. auch noch die Familienversicherung in der GKV, für das die o.g. Bedingungen eines auf alle Familienmitglieder umgelegten gemeinsamen Einkommens ebenso gelten, streitig zu machen, ist ein eklatanter Eingriff in die Wahlfreiheit von Lebensmodellen. Würde den Familien das Splitting genommen, müsste die Familienförderung erneut auf den Prüfstand.

Es sind die Kinder, die später durch ihre Krankenversicherungsbeiträge die Kassen füllen. Die durchschnittlichen Krankheitskosten von Kindern bis zum 15. Lebensjahr betragen 1.000 Euro jährlich, während über 65-Jährige 6.000 Euro und über 85-jährige Rentner 12.000 Euro verbrauchen. Die Nachwuchsgeneration ist also nicht versicherungsfremd, sondern gehört zum System, ebenso die Erziehungsleistung ihrer Mütter und die gegenseitige Unterhaltsverpflichtung in Familien. Die Krankenversicherung ist Teil des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems und enthält keine Kinderfreibeträge.

Besonders kränkend – vor allem für unsere Elterngeneration – ist die rentenrechtliche Gegenüberstellung einer Angestellten und einer Witwe. Im Gegensatz zum Splittingbeispiel mit sehr hohem Einkommen legen Sie hier ein viel niedrigeres Einkommen zu Grunde, um die Ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Witwenrente der Rente einer erwerbstätigen Frau gegenüberzustellen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Sie blenden dabei völlig aus, dass es damals kaum kinderlose Ehen gab. Auch wurden Frauen nach einer Heirat entlassen, wenn sie in der gleichen Behörde arbeiteten wie ihr Mann. In Hamburg war der Zuzug von Familien nach dem Krieg z.B. nur möglich, wenn sich die Ehefrau verpflichtete, nicht erwerbstätig zu werden. Hinzu kommt noch, dass bis 1977 der Ehemann die Stelle seiner Frau bei ihrem Arbeitgeber kündigen konnte.
Des weiteren ignorieren Sie die viele Ehrenamtsarbeit in Kirche und Staat, die diese Frauen leisten und die Vollzeittätige rein zeitlich nie erbringen können. Es ist bedrückend, wenn Sie unterschiedliche Lebensmodelle nur einseitig durch die Finanzbrille betrachten und die immaterielle Lebensleistung damit so abwerten.

Ganz offensichtlich gibt es für Sie nur einen Weg: Eltern sind erwerbstätig und geben ihre Kinder in eine Krippe. Diese wird selbstverständlich mit mindestens 1.000 Euro/Monat subventioniert. Eltern, die eine Zeitlang ihre Kinder selbst erziehen wollen, darf es nicht geben. Schlimm genug, dass in der Vergangenheit Männer Frauen vorschrieben, was sie zu tun und zu lassen hatten, noch schlimmer ist es jedoch, wenn jetzt Frauen ihren Mitfrauen den ihrer Meinung nach einzig richtigen Weg vorschreiben. Mit Toleranz hat das nichts zu tun.

Wäre nur noch zu klären, wo die Wahlfreiheit bleibt und wo all die guten und gerecht bezahlten Arbeitsplätze in der Wirtschaft zu finden sind.

Mit freundlichem Gruß
Wiltraud Beckenbach

Kurzfassung der Antwort von Helma Sick auf meinen Brief vom 14.7.2011
Wie nicht anders zu erwarten, geht Frau Sick nicht auf meine Kritik ein, dass es sich bei den Personenkreisen, die sie anspricht, nicht um Mehrheiten handelt. Ich unterstelle ihr weiterhin die Ignoranz der tatsächlichen Gegebenheiten und bewusste Meinungsmache mit plakativen Beispielen.

Ihr Fazit:
„Ich finde es schade, wenn es Ihnen nicht möglich ist, das „große Ganze“, also die Gesellschaft mit ihren vielfältigen Ausprägungen und Veränderungen, zu sehen. Frauen sind doch nicht nur Mütter. Und sie sind nicht nur Teil einer Partnerschaft, sondern eigenständige Persönlichkeiten mit Talenten, Zielen, Wünschen. Dass sie dies leben können sollen, dafür setze ich mich seit über 30 Jahren ein.“
Und weiter:
„Ich berate seit 25 Jahren (…) Frauen in finanziellen Dingen. Ein sehr großer Teil der Frauen, (…) ist zwischen 50 und 60, hat kaum gearbeitet, lebt nun getrennt, weil der Ehemann mit einer anderen Frau zusammen ist.“

Wiltraud Beckenbach: Diesen Worten haben ich nichts mehr hinzuzufügen, sie sprechen für sich.

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