„Herdprämie“ – Hört mit dieser Herabwürdigung auf ! (Fh 2011/3)

von Wiltraud Beckenbach

Brief an den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel

Lieber Sigmar Gabriel,
als langjähriges Mitglied der SPD habe ich schon immer mit Unmut bei der Frauenpolitik meiner Partei die einseitige Fixierung auf „Vereinbarkeit“ von Familienarbeit mit Erwerbsarbeit und die häufig damit verbundene Diffamierung von Haus- bzw. Familienfrauen gesehen. Ich vertrete die Position echter Wahlfreiheit und achte die Erziehungsleistung von Vollzeithausfrauen und -männern. Derzeit ist ja nicht einmal gerechte Bezahlung der erwerbstätigen Frauen gewährleistet, abgesehen davon, dass diese meist noch allein die zusätzliche Familienarbeit stemmen müssen. Weder sie noch Familien­frauen erhalten „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“.

In jüngster Zeit häuft sich im Zusammenhang mit der Diskussion um das sog. Betreuungsgeld die Herabwürdigung von Familienfrauen wieder verstärkt. Ich war entsetzt und wütend, als ich in einer Diskussion zu dem Thema von Dir mehrmals das Wort „Herdprämie“ hörte. Nicht nur, dass es zum Unwort des Jahres 2007 gewählt wurde und somit tabu sein sollte. Nein, Du beleidigst damit auch alle Mütter, die diese wichtige Arbeit in der Vergangenheit unentgeltlich getan haben, und unterstellst heutigen Müttern, sie würden die geplante Summe von 150 Euro Betreuungsgeld monatlich = 5 Euro / Tag sinnlos verprassen. Was soll diese Missachtung und dieser Generalverdacht, unter den alle Vollzeitmütter gestellt werden? Dabei sind für die haushaltsführende Person Anerkennung und Wertschätzung mindestens genauso wichtig wie für Personen, die durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Kein Wunder, wenn die Mehrheit der Männer dem aus dem Weg geht.

Während alte Menschen möglichst lange in ihrer vertrauten Umgebung bleiben sollen, spielt bei Kindern wohl keine Rolle, ob sie in den ersten Lebensjahren in der eigenen Familie oder in einer Krippe aufwachsen. Wer einen alten Menschen zu Hause pflegt, erhält je nach Pflegestufe 225,-, 430,- oder 685 Euro Pflegegeld. Niemand spricht dann von Rollenfestschreibung oder unterstellt Missbrauch. Dieses Pflegegeld gilt auch für die gesamte Dauer der Pflege. Das minimale Betreuungsgeld hingegen soll nach der Elternzeit längstens bis zum Kindergartenalter als „Ausgleich“ für die Eltern gezahlt werden, die keinen Krippenplatz (Kosten mind. 1.000 Euro/Monat) in Anspruch nehmen.

Eine SOS-Kinderdorfmutter erhält für ihre Erziehungsleistung ein angemessenes Gehalt mit allen dazugehörigen sozialen Leistungen und Absicherungen. Für die Haushaltstätigkeit steht ihr weitere Hilfe zur Seite, ebenso psychologische Hilfe bei evtl. Schwierigkeiten mit den Kindern. Ihre Arbeit wird wertgeschätzt und nicht diffamiert. Auch sie ist den ganzen Tag für die Kinder da und ersetzt ihnen eine Familie. Immer dann, wenn Familienarbeit – aus welchen Gründen auch immer – ersatzweise von Dritten geleistet werden muss, ist es richtige Arbeit und wird selbstverständlich bezahlt!
Hauswirtschafterinnen, die im Haushalt vergleichbare Tätigkeiten einer Hausfrau und Mutter übernehmen, bekommen bei einem Zehn-Stunden-Tag, den eine Mutter mit zwei kleinen Kindern hat, ca. 2.600 Euro. Arbeitsmarktexperten in den USA errechneten 2006 für eine Vollzeithausfrau sogar 91,6 Wochenstunden Arbeitszeit -Wert: 106.110 Euro/Jahr. Sie vergleichen die Tätigkeit mit der eines Managers. Die Studie endete mit der Erkenntnis, dass diese Frauen nicht einfach Mütter sind.
Im übrigen ist laut BGH-Urteil aus 1983 Haushaltsführung eine der sonstigen Erwerbstätigkeit vergleichbare Arbeitsleistung.

Seit 2008 erhalten in Schweden Eltern, die ihr Kind in den ersten drei Jahren nicht in eine Krippe geben, umgerechnet 320 Euro pro Monat für ihre Erziehungsarbeit. Dort gibt es inzwischen – ähnlich wie in Großbritannien – eine Volksbewegung, die sich für Betreuung von Kleinkindern in der Familie stark macht. Norwegische Eltern bekommen seit 1998 umgerechnet 405 Euro monatlich. Es wird von ca. 58 % der Eltern genutzt – häufig in Kombination mit einem Kindergartenplatz. Das findet in Ländern statt, deren soziale Strukturen uns immer als Vorbild hingestellt werden.

Selbstverständlich gibt es Kinder aus zerrütteten, armen, bildungsfernen Familien. Denen ist allerdings mehr damit geholfen, wenn geschultes Personal sie direkt betreut, um dort für alle Familienmitglieder Verbesserungen zu erreichen. Diese Minderheiten als Rechtfertigung dafür heranzuziehen, ganz normalen Familien generell ihre Erziehungskompetenz abzusprechen, ist unlauter. Krippen sind kein Allheilmittel. Vielfach muss deren Qualität hinterfragt werden, da häufig der Personalschlüssel unzureichend ist, und ob alle Kleinkinder gleich gut den Lärm und die Reizüberflutung vertragen, darf bezweifelt werden.
Hierzu die Aussage einer Mutter: „Die Kinder sind in diesem Korsett einem erwachsenen Berufstätigen gleichzusetzen: Sie müssen funktionieren, genau auf Zeit, und dürfen nicht schlappmachen (krank sein), eine alles andere als kindgerechte überforderung!“

Meine dringende Bitte zum Schluss: hört endlich auf mit der Herabwürdigung von Haus- und Familienfrauen und -männern.

Mit sehr verärgerten Grüßen
Wiltraud Beckenbach

Anmerkung:
Insgesamt in drei Briefen hatte ich eine klare Frage an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gestellt: „Wirst Du dich dafür einsetzen, dass in meiner Partei künftig das Wort „Herdprämie“ (Unwort des Jahres 2007) nicht mehr verwendet wird und die damit verbundene Herabwürdigung von Haus- und Familienfrauen und -männern unterbleibt?“
Er ist zwar sehr ausführlich auf vieles eingegangen, die für mich zentrale Frage hat er leider nicht beantwortet. Die von mir ebenfalls angeschriebene Andrea Nahles reagierte überhaupt nicht.
Ich schloss daraus, dass die Position der Familienfrauen in der SPD nicht erwünscht und die SPD nicht mehr meine politische Heimat ist. Daher habe ich meine langjährige Mitgliedschaft in der SPD gekündigt.

Einen ähnlichen Brief schrieb ich auch an den Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Cem özdemir. Bei ihm hatte ich gesondert auf Folgendes hingewiesen:
„Gerade weil Sie aus einem Kulturkreis kommen, in dem die Position der Mütter in der Familie noch sehr geachtet wird, sollten Sie sich eine solch herabwürdigende Wortwahl gut überlegen und sich fragen, ob Sie damit auch Ihre Mutter meinen. Auch wissen Sie als ausgebildeter Erzieher um den Wert guter Erziehung im Elternhaus.“
Von ihm kam keine Reaktion.

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