Betreuungsgeld contra „Moderne Gesellschaft“ ? (Fh 2011/3)

Was ein nicht in Anspruch genommenes Betreuungsangebot mit der Nichtbenutzung von Autobahnen zu tun hat

von Dr. Johannes Resch

In der Ausgabe 2/2010, S. 1-2 der Fh wurde ein Brief abgedruckt, der vom damaligen Vorstand unseres Verbandes an Parteien, Bundestagsfraktionen und politisch exponierte Einzelpersonen (49 Briefe) sowie an verschiedene Organisationen und Medien (ca. 130 Briefe) geschickt worden war mit der Bitte, im Zusammenhang mit der Diskussion um das geplante „Betreuungsgeld“ zu den systematischen Versuchen Stellung zu nehmen, die familiäre Kinderbetreuung in Misskredit zu bringen zugunsten der Krippen-Betreuung von Kleinkindern.

Aus dem Bereich der Politik gingen sieben Antwortschreiben ein (Eingangsbestätigungen nicht berücksichtigt). Drei waren von CDU und CSU, jeweils eines von FDP und den Grünen und zwei von der SPD. Letztere drei propagierten offen eine Bevorzugung der öffentlichen Betreuung von Kleinkindern gegenüber der Betreuung durch die Eltern.

Die Geisteshaltung, die aus diesen Stellungnahmen spricht, wird am besten in Zitaten deutlich:

Kerstin Freudiger-Utke (Parteivorstand der SPD, Referat Familien- und Gesellschaftspolitik):
„Was nun Ihre Forderung nach einer zusätzlichen finanziellen Anerkennung für Eltern angeht, die ihre Kinder nach dem ersten Geburtstag nicht in einer öffentlich geförderten Betreuungseinrichtung betreuen lassen, so gilt aus Sicht der SPD zunächst Folgendes: Wir sehen ein umfassendes Bildungs- und Betreuungsangebot für Kinder aller Altersgruppen als Teil einer öffentlichen Infrastruktur an, für deren Nicht-Nutzung es keinen finanziellen Ausgleich geben kann. Von öffentlichen Subventionen für Verkehrswege, Kultureinrichtungen oder Universitäten profitieren ebenfalls diejenigen nicht, die keinen PKW besitzen, nicht ins Theater gehen oder kein Studium aufnehmen.“

Hier wird einfach unterstellt, dass die öffentliche Kinderbetreuung zu „fördern“ sei, die in der Familie dagegen nicht. Eine Begründung wird nicht gegeben. Offensichtlich wird öffentliche Betreuung mit Bildung gleichgesetzt und als grundsätzlich besser angesehen. Dass es dazu in der seriösen Fachliteratur gar keine Belege gibt, wird glatt ignoriert. Die Kinderkrippe wird zur „Infrastruktur“ gezählt, die Familie dagegen schon nicht mehr.

Elke Ferner MdB (SPD, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen ASF):
Ihre Antwort geht in die gleiche Richtung. Sie rechtfertigt ganz offen den Gebrauch „Herdprämie“ für das Betreuungsgeld und diffamiert damit die Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen. Sie bezeichnet das Betreuungsgeld als „Anreiz“, die Kinder selbst zu betreuen, übersieht aber, dass die viel teurere Krippenfinanzierung ein „Anreiz“ ist, das Kind in die Krippe zu geben. Damit wird ebenfalls die einseitige Bevorzugung der Krippenbetreuung propagiert, ohne dass ein belastbarer Grund angegeben wird.

Katja Dörner MdB (Familienpolitische Sprecherin der Grünen):
„Bündnis 90 / Die Grünen sprechen sich klar gegen das Betreuungsgeld aus. Das Betreuungsgeld konterkariert zentrale bildungs- und sozialpolitische Zielstellungen – die Zukunft unserer Wissensgesellschaft hängt jedoch entscheidend vom Bildungserfolg der künftigen Generationen ab.

Das Betreuungsgeld widerspricht den Prinzipien einer modernen Gesellschaft in hohem Maße.

Dies ist auch ein Präzedenzfall in der Geschichte des Sozialstaates. Das Nicht-Benutzen einer öffentlichen Einrichtung würde mit Geld „entlohnt“. Würden wir dieses Prinzip auf andere Bereiche ausdehnen, müssten wir als Staat Menschen Geld zahlen, die keine Sportplätze benutzt haben, nicht im Theater waren oder als passionierte Fahrradfahrer keine Autobahn befahren.
Auch das Argument der Wahlfreiheit greift in meinen Augen nicht, denn Wahlfreiheit entsteht durch Auswahlmöglichkeiten und diese ist ohne gut ausgebaute Kinderbetreuungsinfrastruktur nicht gegeben.“

Die „zentralen bildungs- und sozialpolitischen Zielstellungen“ sollen offensichtlich von den Grünen vorgegeben werden, nicht von den Eltern. Von den Grünen wird beansprucht zu bestimmen, was „Prinzipien einer modernen Gesellschaft“ sind. Auch hier wird die Kinderkrippe zur „öffentlichen Einrichtung“ erhoben, die höher angesiedelt wird als die Familie. – Wieso die „Wahlfreiheit“ der Eltern durch ein Betreuungsgeld bedroht sein soll, das nur etwa ein Siebtel des Betrages ausmacht, mit dem die Kinderkrippe subventioniert wird, bleibt das Geheimnis der Grünen. Schließlich wäre echte Wahlfreiheit erst dann gegeben, wenn sowohl für öffentliche als auch für familiäre Kinderbetreuung der gleiche Geldbetrag zur Verfügung stünde. Warum Kinderkrippen stärker „gefördert“ werden sollen als Familien, wird auch hier nicht hinterfragt. Die Kinderkrippe wird einfach zur „Infrastruktur“ erklärt, wozu die Familie offensichtlich auch von den Grünen nicht mehr gezählt wird.

– Die restlichen Antworten aus dem Bereich Politik:
Das Schreiben der FDP (Miriam Gruß MdB, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende) war ausweichend und ging nicht auf die im Brief dargelegten Probleme ein. – Die Antwortenden der CDU und CSU verteidigten erwartungsgemäß das Betreuungsgeld und behaupteten auch keine überlegenheit der Krippen-Betreuung. Allerdings wurde auch hier nicht erklärt, warum die Eltern für ihre Ganztagesbetreuung mit 150 € abgespeist werden sollen, während die Krippen-Tagesbetreuung mit 1.000 € oder mehr subventioniert werden soll. – Das im Grundgesetz verankerte Schutzgebot gegenüber der Familie, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine unterschiedliche Behandlung der von den Eltern gewählten Betreuungsformen verbietet, bleibt von allen erwähnten Parteien unbeachtet.

Aus dem Bereich der Organisationen gingen sechs Antworten ein, darunter:
Thomas Becker (Abteilungsleiter des Deutschen Caritasverbandes):
„Dennoch hat sich der Deutsche Caritasverband bislang gegen ein Betreuungsgeld ausgesprochen, das den Bezug an die Voraussetzung knüpft, dass keinerlei Kindertagesbetreuung in Anspruch genommen wird. Dies schränkt nach unserer überzeugung die Wahlfreiheit im Falle einer Erwerbsabsicht ebenfalls ein.

Auch wenn wir in der frühkindlichen Entwicklungsphase im Normalfall keinen qualitativen Vorteil externer Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsleistungen gegenüber der elterlichen Erziehung sehen, ist außerdem zu berücksichtigen, dass eine externe Kindertagesbetreuung bei Familien mit geringem Anregungspotenzial im Hinblick auf die kindliche Entwicklung durchaus von Vorteil sein kann.“

Hier wird von vornherein nur an Eltern gedacht, die nach einer Geburt rasch wieder erwerbstätig sein wollen. Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen wollen, hat die Caritas offensichtlich gar nicht mehr im Blick. Dass diese Eltern in ihrer Wahlfreiheit weit stärker eingeschränkt sind als Eltern, die mit 1.000 € Krippensubvention pro Monat unterstützt werden, kommt dem Schreiber nicht in den Sinn. Auch die Caritas hält somit Kinderkrippen für „förderungswürdig“, die Familien dagegen nicht.
Der Widerspruch zwischen der Feststellung, dass die öffentliche Betreuung „im Normalfall“ keinen Vorteil bringe, aber dann doch gegenüber der Betreuung in der Familie massiv durch staatliche Mittel begünstigt werden soll, fällt dem Verfasser nicht auf.

– Die IG Metall und der Deutsche Frauenring vertreten im Wesentlichen die bereits oben zum Ausdruck kommende SPD-Position.

– Der Bayrische Landesfrauenrat weist daraufhin, dass die Meinungsbildung der Mitgliedsverbände unterschiedlich sei und daher keine Stellungnahme erfolgen könne.

Schlussfolgerung:
In den meisten Stellungnahmen wird die einseitige Begünstigung der öffentlichen Kleinkind-Betreuung gegenüber der Familie befürwortet. Begründet wird das vor allem mit „besseren Bildungschancen“ der Kinder. Unterschlagen wird dabei, dass es in der seriösen Fachliteratur keine Hinweise auf eine generelle überlegenheit der Krippen-Betreuung gibt. Z. B. sind die Pisa-Ergebnisse bei Kindern, die in der Krippe betreut wurden, keinesfalls besser. Andernfalls hätten die Kinder in den neuen Bundesländern, die überwiegend in der Kinderkrippe waren, besser abschneiden müssen als in den alten Bundesländern. Das war aber nicht der Fall. Bei der Sozialkompetenz waren die Kinder aus den alten Bundesländern sogar sehr deutlich überlegen, was ein Hinweis auf die überlegenheit der familiären Erziehung sein kann. Es ist auch naheliegend, dass soziale Kompetenzen zumindest im Kleinkindalter im familiären Rahmen eher geübt und gefördert werden als in einer Kinderkrippe. – Der in der früheren DDR bereits erfolgte Großversuch hat nicht zu einem besseren „Erziehungserfolg“ geführt.
Die Vorstellung, ein Kind unter drei Jahren erhalte in der Krippe eine „bessere Bildung“, ist abwegig. In diesem Alter kommt es noch gar nicht so sehr auf „Bildung“ an. Viel wichtiger ist zunächst die Ausbildung starker emotionaler Beziehungen zu engen Bezugspersonen. Erst das verleiht die persönliche Sicherheit als Grundlage für die Entwicklung eines gesunden Neugier-Verhaltens, das Voraussetzung für späteren Bildungswillen ist. Entsteht diese Sicherheit nicht, kann das auch später durch das beste Schulsystem nur sehr ungenügend kompensiert werden.

Wirklich überzeugt scheinen auch die Familiengegner nicht von der überlegenheit der Krippe für den Erziehungserfolg zu sein. Wären sie das, dann könnten sie es ja auf einen fairen Wettbewerb zwischen Familie und Krippe bei gleichen Chancen, also auch bei gleicher Finanzierung, ankommen lassen. Dann würde sich schließlich zeigen, was überlegen ist. – Stattdessen soll demnach der Kinderkrippe durch eine extrem einseitige Bevorzugung ein gewaltiger Startvorteil verschafft werden. Ob der dann ausreicht, um die Familien gesellschaftlich völlig an den Rand zu drängen, steht noch aus. Dass das von weiten Kreisen erwünscht ist, zeigen die drei obigen Stellungnahmen.

Da sachliche Gründe nicht überzeugend belegt werden können, ist zu fragen, was nun eigentlich der Motor hinter den einseitigen Krippen-Bestrebungen ist. Das geht aus den Schreiben selbst nicht hervor. Die Motive lassen sich aber aus der Sozialgeschichte ableiten. – Bei der zunächst von Männern geprägten Sozialdemokratie stand von vornherein die überwiegend von Männern geleistete Erwerbsarbeit im Vordergrund. Die meist von Frauen geleistete Erziehungsarbeit galt nicht als vollwertige Arbeit. Die Grünen haben dann die Abwertung der Erziehungsarbeit so weit verinnerlicht, dass sie Kindererziehung überhaupt als „Last“ wahrnehmen, die am besten durch öffentliche Betreuung „wegrationalisiert“ werden soll. – Die Caritas schließlich hat dann wohl vorrangig die Interessen der bei ihr Beschäftigten im Blick, ohne danach zu fragen, was für die Kinder gut ist oder was die Eltern wollen.

Geradezu entlarvend ist es, wenn die einseitige Förderung der Kinderkrippen damit begründet wird, dass sie zur „Infrastruktur“ gehörten wie Verkehrswege, Kultureinrichtungen oder Universitäten (Kerstin Freudinger-Utke) und wie Sportplätze, Theater oder Autobahnen (Katja Dörner). Auch wenn Kinderkrippen zur „Infrastruktur“ gezählt werden, ist das schließlich kein Grund, sie gegenüber der familiären Betreuung einseitig zu begünstigen, da Familie zweifellos auch zur „Infrastruktur“ einer Gesellschaft gehört. Der psychologische Trick bei der einseitig auf Kinderkrippen bezogenen Sichtweise ist, dass unausgesprochen vermittelt wird, die Familie gehöre nicht mehr zur erhaltenswerten „Infrastruktur“. Die Familie offen als „überholte Einrichtung“ zu bezeichnen, würde heute von der Mehrheit der Bevölkerung (noch) nicht akzeptiert. Also wird ein Weg gewählt, der nicht auf den ersten Blick durchschaubar ist, aber letztlich das Gleiche meint.

Anmerkung:
Jedes aus dem Zusammenhang gerissene Zitat birgt die Gefahr einer Verfälschung. Es wurde aber versucht, aus den Antwortbriefen die aussagefähigsten Passagen wiederzugeben. – Wer sich jedoch ein vollständiges Bild machen will, kann gern beim Redaktionsteam des Verbandes den vollständigen Text der Antworten anfordern.

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