BETREUUNGSGELD: Büttenreden im Bundestag – im Juni (Fh 2010/3)

von Gesa Ebert

Debatte am 17. Juni 2010 in Berlin. Nein, nicht wegen 1953 im Osten. Es ging um das geplante Betreuungsgeld (BG) für ein- bis zweijährige Kinder. Es ist noch nicht gesetzlich verankert, soll erst ab 2013 gezahlt werden.
Acht Frauen von Bündnis 90 / Die Grünen samt Fraktion haben im Mai vorbeugend einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht:
„ Zur Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes“,
siehe Bundestags-Drucksache 17/1579

In der Begründung dieses Anti-Gesetzentwurfs wird einerseits vom BG als „eine Art Fernbleibeprämie“ gesprochen – Andererseits werden verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht (Verstoß gegen Art. 3 und 6 des GG), wenn Eltern von Kita-Kindern dann nicht auch BG bekämen.

Das Niveau der Oppositions-Rednerinnen war hinsichtlich Argumentation und Stil erschreckend niedrig. Ein Bildungsnotstand eigener Art. Offenbar fehlen einfach die Argumente. Beim Lesen und Hören musste ich immer wieder denken: Glauben die denn, das Volk bekommt das nicht mit? Schämen die sich denn gar nicht? Merken die nichts? Ich empfehle, sich die Debatte selbst zuzumuten (Seite 5039 ff): bundestag.de/dip21/btp/17/17049.pdf

Hier nur einige Kostproben aus dem zwölfseitigen Protokoll.
Gleich zum Einstieg gab“s ein einziges neues Gegenargument, den Autobahn-/Kita-Vergleich:
„Die Nichtinanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung in geldwerter Form ausgleichen zu wollen, ist eine historisch einmalige Fehlleistung. Ebenso könnte man die Nichtinanspruchnahme von Autobahnen durch Radfahrer finanziell honorieren  … Niemand wird gezwungen, sein Kind in einer Kita anzumelden. Kinder komplett zu Hause zu erziehen, wird schon heute durch viele familienpolitische Leistungen unterstützt, durch zu viele, würde ich fast sagen … Nein, Wahlfreiheit bedeutet Auswahlfreiheit. Diese Auswahlfreiheit wird nur dadurch hergestellt, dass ausreichend qualitativ gute und möglichst gebührenfreie Ganztagsplätze in den Kindertagesstätten zur Verfügung stehen. Dem steht das Betreuungsgeld faktisch im Wege.“ So die Abgeordnete KATJA DÖRNER, Obfrau der Grünen im Familienausschuss (FamAuschuss), Mitglied der Kinderkommission, kinder- und familienpolitische Sprecherin der Grünen. Die 34-Jährige lebt mit Mann und Kater in Bonn und mag den Karneval, laut Selbstaussage.

Auf das Autobahn-Argument ist der Verband der Familienfrauen und -männer in seinem Offenen Brief zum Betreuungsgeld nicht eingegangen
(s. Fh 2/2010: Brosamen für Erziehung zu Hause – Millionen für Krippen – Milliarden für Banken?); wer nimmt denn so was ernst?
Aber es steht tatsächlich in der Begründung des Gesetzentwurfs, in dieser Variante: „Sonst müsste auch die Nichtnutzung von staatlichen Museen, Theatern, Sportplätzen etc. Kompensationsansprüche nach sich ziehen.“

MARIANNE RUPPRECHT, SPD, aus Bayern, ein Kind; Mitglied in Kinderkommission und FamAusschuss, Kinderbeauftragte der Fraktion: „Kinder brauchen aber, wie wir wissen, noch andere Kinder zum Aufwachsen. – (Zwischenruf von Marco Wanderwitz, CDU: Geschwister zum Beispiel!) – In den wenigsten Familien gibt es Geschwisterkinder. Das wissen Sie. Frauen in Deutschland bekommen im Durchschnitt 1,3 Kinder. Ein Kind kann schlecht mit den übrigen 0,3 spielen. Deshalb brauchen sie andere Kinder zum sozialen Lernen, was Kinder unter Erwachsenen kaum so lernen können wie im Umgang mit anderen Kindern.“ – Nein, ironisch war das nicht gesagt; ich habe die Reden auch nachgehört. (Marianne Rupprecht ist auch Kuratoriumsvorsitzende des Müttergenesungswerkes.)

Auffallend war, dass von der Union keine Frau redete. Die Männer hielten gute Reden:
NORBERT GEIS, CSU, vier Kinder, Mitglied im FamAusschuss (ihn ließen die Oppositionsfrauen kaum einen Satz zu Ende sprechen!).
Und MARCO WANDERWITZ aus Sachsen, CDU, zwei Kinder, stellv. Mitglied im FamAusschuss. Er argumentierte sehr gut, sagte auch, dass die 150 Euro „ein erster Schritt“ seien, und auch die Rente für Eltern „bei weitem noch nicht ausreichend“ sei.
DOROTHEE BäR, CSU, ein Kind, Mitglied im FamAusschuss, beteiligte sich mit Zwischenrufen.

Männer machen sich natürlich immer verdächtig, wenn sie sich für die häusliche Erziehung einsetzen. Glaubhaft werden sie erst, wenn sie sich parallel auch für ein partnerschaftliches Güterrecht in der Ehe engagieren sowie für ein generelles Rentensplitting; also beides nicht nur im Falle einer Scheidung!
Ganz frei von Verdummungsversuchen war auch die Union nicht. Auf den Vorwurf, sie wolle ja den ALG-II-Beziehenden das Mindestelterngeld von 300 Euro streichen, wurde gesagt, das stimme nicht, es solle lediglich „angerechnet“ werden!

Nochmal zur Opposition: DIANA GOLZE, Partei Die Linke, Brandenburg, zwei Kinder, Mitglied in Kinderkommission und FamAusschuss: „…  Ich hatte gestern in meinem Büro Besuch von einer jungen Frau, die in München geboren und aufgewachsen ist. Für ihre Eltern war ein Kindergartenplatz für sie wie ein Hauptgewinn im Lotto. Sie hat es dazu gebracht, Beamtin zu werden und einer großen Organisation in Deutschland vorzustehen, die jungen Menschen hilft, für ihre Rechte zu streiten. Allein dieses Beispiel zeigt, dass es auch in den alten Bundesländern Menschen gab, die es als richtig empfunden haben, Kinder frühzeitig zu fördern und miteinander aufwachsen zu lassen …“

Nach dieser klugen Rede ging ich in mich: Meine drei Töchter haben alle ein abgeschlossenes Studium, arbeiten in ihren Berufen. Der Kindergarten war’s!
Mit dreieinhalb gingen sie hin, meistens nur vormittags. Aber, habe ich nun die Kinder – weil nicht als Einjährige in eine Ganztages-Kita gegeben –
um den Nobelpreis gebracht? Mea culpa.

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