JENAER THESEN zur Bezahlung von Elternschaft (Fh 2010/1)

von Anja Müller / Prof. Dr. Michael Opielka
(Kürzungen: Gesa Ebert)

Fröbel-Tagung am 14. Januar 2010 in Jena

Soll Familienarbeit bezahlt werden und wenn ja, wie lange und in welcher Höhe? Erscheint eine Lohnersatzleistung wie das Bundeselterngeld, eine eher symbolische Leistung wie das Thüringer Erziehungsgeld oder ein Erziehungsgehalt auf Normallohnniveau ratsam? Wie wirken sich bezahlte Elternzeiten auf das Erziehungsgeschehen, die Bildungschancen der Kinder und die Entwicklung von Familienstrukturen, des Geschlechterverhältnisses und des Arbeitsmarktes aus?

Die „Jenaer Thesen zur Bezahlung von Elternschaft“ nehmen zu diesen Fragen Stellung. Sie wurden auf der wissenschaftlichen Fröbel-Tagung 2010 vorgestellt („Kann Liebe Arbeit sein? Kontroversen um bezahlte Elternschaft“, FH Jena 14.1. 2010). Ein Forscherteam der FH Jena und der FSU Jena evaluierte die „Thüringer Familien-offensive“ der Thüringer Landesregierung. Ein zentrales Element dieses familien- und bildungspolitischen Reformprogramms war die Einführung eines einkommensunabhängigen „Thüringer Erziehungsgeldes“ in Höhe von monatlich 150 Euro im dritten Lebensjahr des Kindes. Eine vergleichbare Leistung für Kinder von ein bis drei Jahren wurde auf bundespolitischer Ebene als „Betreuungsgeld“ beschlossen (ab 2013, SGB VIII § 16 Abs. 4). In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion sind diese Maßnahmen auch international äußerst umstritten. Ziel der ersten Fröbel-Tagung in Jena war es, diese Diskussion aufzunehmen und sie interdisziplinär und politikorientiert zu führen.

These 1
Der Staat weist bestimmte soziale Aufgaben explizit der Familie zu (…) Wenn er die Familie dafür unterstützt, zum Beispiel in Form von Geldzahlungen (…), kann man darin auch einen ersten wichtigen Schritt zur öffentlichen Anerkennung und damit staatlichen Regulierung dieses Bereichs sehen. Transferleistungen für Elternarbeit bilden damit keinen konservativen Rückschritt, sondern gehören zu den zentralen Modernisierungsleistungen der Sozialpolitik. (…)

—These 2
Als geschlechterpolitischer Einwand gegen die Bezahlung von Elternschaft wird vorgetragen, diese (…) fördere den Rückzug vom (…) Arbeitsmarkt. Damit würde ein Handlungsanreiz für Frauen gesetzt, der ihnen langfristig zum biographischen Nachteil gereicht. Bezahlte Elternzeiten führen im internationalen Vergleich jedoch nachweislich eher zu höherer Arbeitsmarktteilhabe im Anschluss an die Elternzeiten. Ihre Einführung ist in der Regel Bestandteil einer umfassenden Familienpolitik, die auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzielt.

—These 3
Problematisch ist bisher, dass bezahlte Elternzeiten nur geringe Anreize für egalitäre geschlechtliche Arbeitsteilung setzen. Zudem dürften Arbeitgeber längere Erwerbsunterbrechungen von Müttern einkalkulieren (…) Solange Familienarbeit vorwiegend als Arbeit der Frauen gilt, ist eine Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht zu erwarten. Die Anerkennung von Familienarbeit als gesellschaftliche Arbeit ist die Voraussetzung für die Gleichstellung der Geschlechter. (…)

—These 4
Als bildungspolitischer Einwand gegen die Bezahlung von Elternschaft wird zunehmend behauptet, dass Kinder von bildungsfernen Eltern ungenügende kognitive Anregungen erhalten. (…) Häufig gilt Kita-Betreuung auch für die affektive, sozialkompetente Entwicklung der Kinder als vorteilhafter gegenüber der ausschließlichen Familienbetreuung. Dies ist für Kinder unter drei Jahren jedoch nicht belegt. Wie internationale Langzeitstudien und die Ergebnisse der Bindungsforschung zeigen, stehen in dieser Lebensphase Erfahrungen sicherer Bindung im Zentrum der Entwicklungsaufgaben des Kindes. (…) Entscheidend ist, dass differenzierte Kombinationen von Familien- und Kita-Erziehung aus Sicht von Familien und Kindern möglich sind. (…)

—These 5
Als ökonomischer Einwand gegen die Bezahlung von Elternschaft wird genannt, dass damit sowohl in den Familien wie in der Gesellschaft eine falsche Priorität auf Geld gesetzt werde. Forschungen zeigen, dass Eltern auch in einkommensschwächeren Schichten in der Regel durchschnittliche Konsumenten sind und sich in hohem Maß für das Wohl ihrer Kinder einsetzen. (…) Die vergleichende Sozialpolitikforschung zeigt: Länder mit hohen Ausgaben für Elternzeiten geben in der Regel auch mehr für Kita-Betreuung aus.

—These 6
Sowohl das „Thüringer Erziehungsgeld“ wie das geplante „Betreuungsgeld“ auf Bundesebene werden mit dem Argument der „Wahlfreiheit“ begründet. Beide Instrumente sehen nur die Auszahlung von etwa einem Drittel der öffentlichen Kosten der Kita-Betreuung vor, wenn diese nicht in Anspruch genommen wird. (…)

These 7
Bezahlte Elternschaft und öffentliche Kita-Betreuung dürfen nicht als Gegensatz konstruiert werden, weil sie kein Gegensatz sind: Eltern brauchen Geld und suchen eine optimale Bildung ihrer Kinder. Öffentliche Kita-Betreuung richtet sich vor allem an Kinder und deren individuelle Entwicklung. Für Kinder unter drei Jahren ist sie äußerst personalintensiv und damit teuer. Ihr Ausbau darf nicht auf Kosten der pädagogischen Qualität der Einrichtungen gehen. Eine Kopplung von Bezahlung von Elternschaft und dem Besuch einer Kita vermischt zwei Ansprüche, die unabhängig voneinander berechtigt sind und abgewogen werden müssen.

Download:  Vollständiger Text der Jenaer Thesen

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