Starke Mütter verändern die Welt – Wie kann matriviviales Leben Wirklichkeit werden?

Vortrag bei der Jubiläumsfeier 30 Jahre dhg-vffm am 3. Okt. 2009

von Kirsten Armbruster

Ich darf mich als erstes bei den Veranstalterinnen für die Einladung bedanken.

Der Begriff „matrivivial“, den ich in meinem Buch „Starke Mütter verändern die Welt“ entwickelt habe, setzt sich zusammen aus dem Begriff „matri“ für Mutter und „vivial“ für lebendig, am Leben orientiert.
In einer matrivivialen Gesellschaft bildet die Mutter die sakrale Mitte, umrundet von einer Region als autarkem Wirtschaftsstandort und der globalen Ebene mit internationalen Sozialstandards, internationalen Umweltstandards und internationalen Steuern. In meinem Buch habe ich mich weiterhin mit der Müttermacht auseinandergesetzt, abgeleitet von der heiligen Silbe Ma, wie sie in dem Wort Mama, aber auch im deutschen Wort Macht selbst vorkommt.

Die Macht betrifft vier Bereiche: Die Gebärmacht, die Erziehungsmacht, die Arbeitsmacht und die Konsummacht.

In einer matrivivialen Gesellschaft bildet die Mutter die sakrale Mitte im Gegensatz zu dem zerstörerischen System des Patriarchats, wo der Patriarch und zwar vor allem der weiße Patriarch im Zentrum steht und alle wichtigen Gesellschaftsbereiche wie Religion, Wirtschaft, Familie, Bildung, Arbeitsmarkt, Medien, die Verteilung des Kapitals, unser Verhältnis zur Natur oder auch den Bereich Krieg von patriarchalen Werten her definiert werden. Und da alle wichtigen Gesellschaftsbereiche vom Patriarchat her definiert werden, wird natürlich auch das Muttersein, das was eine Mutter heute zu sein hat vom Patriarchat her definiert.

In den letzten zwei Jahren habe ich immer wieder versucht mit Frauen an diesem Bewusstseinswandel zu arbeiten, aber das ist wesentlich schwieriger als ich gedacht habe und hat für mich gerade das letzte halbe Jahr zu großen Komplikationen im politischen Bereich geführt, was mich zu einer systemischen Analyse veranlasst hat. Es herrscht eine große Verwirrung im Definitions- und Rollenverständnis einer heutigen Mutter und das liegt daran, dass wir es heute vor allem mit patriarchalisierten Müttern zu tun haben, Müttern, die sich systembedingt an die Bedingungen des Patriarchats angepasst haben. Das geschah über die Jahrtausende nicht freiwillig, sondern wurde vom System mit perfidesten Formen von Gewalt erzwungen.
Wie aber kann sich das patriarchalisierte Bewusstsein der Mütter wieder ändern?

Als allererstes müssen wir uns unsere gestohlenen Geschichte wieder zurückholen. Wir müssen realisieren, dass das was uns im Geschichtsunterricht als Geschichte beigebracht wird, die Geschichte des Patriarchats ist, d.h. der heutige Geschichtsunterricht beschäftigt sich hauptsächlich mit den letzten 5000 Jahren.

Die Patriarchatsgeschichte beginnt mit dem Altertum, den „großartigen“ Kulturen in Mesopotamien, im Alten Ägypten, im Alten Griechenland, im Alten Rom, um dann über die Zeit des Mittelalters in die Neuzeit überzugehen. Gekennzeichnet ist diese Geschichte durch den Bau von Monumentalbauten aus Stein, durch das Auftauchen der ersten profan genutzten Schriften, durch andauernde Kriege, durch das immer häufigere Auftauchen von männlichen Göttern bis zu einem rein männlichen Monotheismus und durch ein Ungleichgewicht unter den Menschen: Der Mann herrscht über die Frau und der weiße Mann herrscht über die farbigen Männer. Ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, ein Ungleichgewicht zwischen den Rassen, eine gesellschaftliche Hierarchisierung scheint uns natürlich. Im Schulunterricht wird uns dieses patriarchale System als Zivilisation vorgestellt und Zivilisation wird immer positiv besetzt als Fortschritt im Gegensatz zu unentwickelten Naturvölkern, die wir durch Entwicklungshilfe auf unseren Status hochhieven müssen. Dies sind wir unseren humanitären Idealen geschuldet.

„Der Mensch neigt allgemein dazu, die Ordnung, in der er lebt, für die natürliche zu halten“ hat Irene Fleiss in ihrem Buch „Als alle Menschen Schwestern waren“, geschrieben. Wird diese Neigung noch verstärkt durch Kontrollmittel, wie die einseitige Manipulation durch das Erziehungswesen, das Wirtschaftssystem, das spirituelle System und die Medien, entstehen Phänomene, die aus Diktaturen bekannt sind: Die Menschen laufen mit Scheuklappen durch das Leben. Die Indoktrination, dass die suggerierte Ordnung der Dinge, der Natur des Menschen entspreche und sich ja allenthalben bewährt habe, wird nicht in Frage gestellt und Ungereimtheiten werden verdrängt. Dahinter steckt Angst und diese Angst ist nicht etwa irrational, sondern die Angst ist die letzten Jahrtausende im kollektiven Unterbewusstsein verankert worden, denn hinter der uns bekannten Ordnung steckt ein herrschaftsmächtiger Erzwingungsstab: Patriarchale Herrscher, die durch staatliche oder kirchliche Behörden wie die Polizei, die Justiz und das Militär ihr vermeintliches Recht auch mit Gewalt durchsetzen. Dadurch ist zu erklären, dass das Phänomen eines Lebens mit Scheuklappen nicht nur in Diktaturen sondern auch in heutigen Demokratien anzutreffen ist.
Als erstes postuliere ich daher:

Die männliche Geschichtsbrille braucht neue Gläser

Patriarchat heißt Herrschaft der Väter. Dieses Gesellschaftssystem ist besonders nützlich für einige wenige Männer, die in der gesellschaftlichen Hierarchie weit oben stehen, und das sind vor allem weiße Männer. Es ist nicht nützlich für die allermeisten Männer, es ist nicht nützlich für die Frauen und für die Kinder schon gar nicht.

Vor dem Patriarchat gab es allerdings weltweit Matriarchate. Matriarchat heißt aber nicht Herrschaft der Mütter, sondern am Anfang die Mütter. Und hier kommen wir zu unseren Wurzeln und deshalb postuliere ich zweitens:

Das Leben auf Erden ist an Weiblichkeit gebunden.

Sowohl das Männliche als auch das Weibliche wird aus dem Weiblichen geboren und auch die Erde ist eine Mutter

Das heißt die Natur bevorzugt eine weibliche Dominanz,

wobei ich mir bewusst, dass bei dem Wort Dominanz es vielen Frauen die Nackenhaare aufstellen wird. Das Wort Dominanz assoziiert gleich das Bild einer Lederkluft-Domina mit Peitsche und so etwas wollen wir ja nun absolut nicht sein. Erinnern wir uns an das Bild der Politikerin Gabriele Pauli, welche die Dominanz besessen hat, sich gegen das Machotum in der bayerischen CSU zu stellen und dann mit einer solchen Bildassoziation durch die Presse ging.

Aber bleiben wir einmal bei dem Satz: Die Natur bevorzugt eine weibliche Dominanz. Wenn für ein Leben auf der Erde sozusagen als Naturgesetz vorgesehen ist, dass das Mütterliche eine wesentliche Rolle zu spielen hat, ist es ganz klar, dass ein Leben auf der Erde nicht gut funktionieren kann, wenn überall das patriarchal Männliche dominiert. Ich verwende ganz bewusst die Wortkombination patriarchal männlich, denn längst nicht alles Männliche ist patriarchal und das Weibliche nicht patriarchal und wir müssen lernen diese Begriffe differenziert zu gebrauchen. Nicht alle Männer sind Schweine und unsere Jungen werden höchstens dazu gemacht, wobei Schweine ja eigentlich nette und saubere Tiere sind. Reden wir also über die Dominanz des patriarchal Männlichen und die finden wir ja in der heutigen Gesellschaft überall: überall auf der Welt sind Patriarchen in Führungspositionen: in den Religionen, in der Wirtschaft, in der Politik. Das Kapital liegt fast ausschließlich in den Händen von Männern, Männern gehört das Land. Und das Ergebnis von dieser männlichen Dominanz ist, dass das menschliche Leben und das vieler anderen Spezies auf der Erde massiv bedroht sind. Die Probleme wie Klimawandel mit all seinen Auswirkungen, eine Versorgung mit sauberem Wasser, ein zu hohes Bevölkerungswachstum, viele Kriege militärischer und wirtschaftlicher Art, unser Finanzdesaster, das durch übermäßige Gier und damit verbundenen Spekulationen ausgelöst wurden. All das sind Probleme, die uns hinlänglich bekannt sind und wenn wir weiter hingucken, wissen wir auch, dass diese Probleme durch eine patriarchal männliche Dominanz bedingt sind.

Als drittens postuliere ich: Das Bewusstsein der Mütter ist der Schlüssel zur Heilung der Welt:

Dazu müssen wir uns aber den Begriff Mutter, Mütterlichkeit neu erschließen. Wir müssen fragen:

Was bedeutete Mütterlichkeit im Matriarchat?
Worauf wurde Mütterlichkeit im Patriarchat reduziert? und schließlich:
Wie könnte eine neue entpatriarchalisierte Mütterlichkeit im Patriarchat aussehen?

denn leider ist das Patriarchat immer noch Realität und es bestimmt unseren Alltag als Mütter.

Mütterlichkeit im Matriarchat bedeutete, eine ganzheitliche gesellschaftliche Führungsrolle, eine Machtrolle innezuhaben, d.h. Frauen mit ihrer engen Beziehung zum Land oblag

eine spirituelle Führung,
eine soziale Führung in der Gemeinschaft und
eine wirtschaftliche Versorgungsführung

Das heißt Muttersein im Matriarchat bedeutete natürliche Autorität. Natürliche Autorität bedeutete Macht, Müttermacht, und Müttermacht bedeutete eine Kombination aus Seinsmacht und Habensmacht. Die Macht Leben zu schenken als Seinsmacht und die enge Verbindung zum Land als Nahrungsgrundlage der Schenkökonomie (Erde, Wasser; Luft und Sonnenenergie gehören ja zur erdplanetarischen Schenkökonomie), diese Verbindung zum Land bedeutete also neben der Seinsmacht gleichzeitig auch eine Habensmacht.
Die Art der Führung gründete im Matriarchat nicht auf Herrschaft, die ja auf einem gewaltinduzierten Erzwingungsstab beruht, sondern auf natürlicher Autorität. Heide Göttner-Abendroth ordnet der natürlichen Autorität drei Bereiche zu:
Vertrauen
Kompetenz und
Integrationsfähigkeit

Was wir aber ganz besonders beachten müssen, ist, dass Matriarchate Verwandtschaftsgesellschaften sind. Hier gründet sich das Vertrauen auf Verwandtschaftslinien. Bei fremden Personen muss dieses Vertrauen erst hergestellt werden. Und das ist einer der größten Knackpunkte in der heutigen patriarchalen Zeit.

Das Patriarchat hat die natürliche Autorität von Müttern ganz systematisch untergraben. Einer der wesentlichen patriarchalen Stützpfeiler ist dabei das Vertrauen zwischen Müttern und Töchtern zu untergraben und als Folge dieses Angriffs auf die ehemals fundamentale Mutter-Tochter-Beziehung das Vertrauen zwischen den Frauen, unsere schwesterlichen Beziehungen zu untergraben.

Wie stellt sich also heute patriarchalisierte Mütterlichkeit dar?

Das Bewusstsein für unsere natürliche Autorität wurde uns genommen.
Die Seinsmacht, die Macht männliches und weibliches Leben zu schenken
wurde auf weiblich-geschlechtlicher Seite zur Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt und auf die männlich-geschlechtliche Seite übertragen durch die neue männlich-verwandtschaftliche Abstammungslinie, durch das veränderte Erbrecht und durch die neuen männlich monotheistischen Religionen, die dem Vater die Autorität übertragen. Durch die Abtrennung vom Land, durch den Ausschluss von Bildung und durch eine Neudefinition des Begriffs Arbeit in bezahlte Produktions- und heute zusätzlich Spekulationsarbeit und nach wie vor unbezahlte Reproduktionsarbeit, wurde die Mutter auch noch von ihrer Habensmacht verdrängt.

So ergeben sich im Matriarchat und im Patriarchat völlig verschiedene Mutterbegriffe:

Matriarchat Patriarchat

Natürliche Autorität An den Vater abgegebene Autorität=
Unnatürliche Autorität
Seinsmacht und Habensmacht = männlich verdrehte Seinsmacht und
Mütterliche Vollmacht Habensmacht = mütterliche Ohnmacht

Patriarchalisierte Mütter sind schwache Mütter, schwache Mütter, die wenig kampfbereit und konfliktfähig sind, wobei ich sehr viel Wert lege auf eine Unterscheidung zwischen Kampf und Krieg. Patriarchalisierte Mütter sind Mütter, die Angst haben zu ihrer schöpfungsbedingten Autorität und Macht zu stehen. Es sind Mütter, die geduldig in ihrer Ohnmacht verharren. Es sind Mütter, denen die Kinder auf dem Kopf herumtanzen. Es sind Mütter, die bei der Wahl ihrer Liebespartner nicht kritisch die charakterliche Eignung hinterfragen. Es sind eingeschüchterte Mütter, die es nicht wagen männlicher Gewalt etwas entgegenzusetzen. Es sind Putzteufelmütter. Es sind Hotel Mama Mütter. Es sind extrem ängstliche Mütter. Es sind Mütter, die glauben mit Liebsein und Nettigkeit würde sich irgendetwas in unserer Gesellschaft ändern. Es sind Mütter, die anderen starken Müttern, die ihre Autorität zurückerobert haben in den Rücken fallen, Ihnen Dominanz unterstellen und ihnen damit die Autorität wieder abgraben. Es sind Mütter, die zu wenig Vertrauen in die Stärke einer anderen Frau haben, sei es, weil sie Angst vor Konflikten haben oder sei es, weil sie naiv sind. Allen diesen Müttern sage ich, dass sie das Patriarchat nicht verstanden haben. Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Wenn wir uns gegenseitig in den Rücken fallen, wenn wir anderen Frauen nicht vertrauen, werden wir das Patriarchat nicht verändern. Mit Lieb- und Nettsein werden wir das Patriarchat ebenfalls nicht verändern.

Und nun möchte ich noch einen ganz wichtigen Punkt ansprechen: Wenn wir uns nicht mit Männern zusammenschließen, werden wir das Patriarchat ebenfalls nicht verändern. Wir brauchen auch den Schutz von partnerschaftlichen entpatriarchalisierten oder teilentpatriarchalisierten Männern. Eine Mutter, die sich vom Patriarchat emanzipiert hat, weiß, dass sie für das Weibliche und das Männliche zuständig ist. Eine Mutter, die sich erfolgreich vom Patriarchat emanzipiert hat, weiß, dass die meisten Männer und alle Jungen selbst Opfer des Patriarchats sind. Und eine Mutter, die das patriarchale System durchschaut hat, weiß, dass sie sich vor patriarchalisierten Menschen hüten muss und zwar vor Männern und vor Frauen und vielleicht noch mehr vor Frauen.
Müttermacht bedeutet für mich heute vor allem auch das Amt der Wächterin einzunehmen. In einer patriarchalisierten Welt bedeutet dies, dass frau patriarchalisierten Männern und Frauen sehr oft die Leviten lesen muss. Jemandem die Leviten lesen hat zur Folge, dass es oft zu Konflikten kommt. Das fällt Müttern nicht leicht, weil sie ja über Jahrtausende gelernt haben brave Mädchen, brave Frauen und brave Mütter zu sein. Aber als brave, systemangepasste Mütter werden wir nichts verändern. Nur starke Mütter verändern die Welt. Kümmert euch um eure Kinder, nehmt eure Erziehungsmacht bewusst wahr, aber bleibt nicht isoliert in euren Häusern, sondern spinnt eine Netz von mächtigen Frauen- und Männerbeziehungen. Und wenn eure Kinder ein bisschen größer sind, dann geht noch mehr hinaus aus den Häusern und wirkt im öffentlichen Bereich als weise Alte. Seid aktiv in der Politik, engagiert euch in Parteien und lokalen Wählergemeinschaften, gründet eigene gemischte Parteien (hier möchte ich noch einmal auf Gabriele Pauli verweisen), konfrontiert Geistliche mit ihren einseitigen Religionen, schreibt Bücher, malt Bilder, komponiert, singt, schreibt Gedichte, haltet Vorträge, schreibt Artikel, seid Künstlerinnen, unterrichtet Kinder, leitet Jugendliche an, setzt euch mit Männern auseinander, euren eigenen und fremden, schaut nicht weg, fordert Ämter in Aufsichtsräten und Vorständen von Konzernen ein, fordert Geld für eure mütterliche Arbeit, macht Heilungs- und Ritualarbeit. Und vor allem: Seid laut und nicht still, sondern nehmt den Raum ein, der euch naturgemäß auf Erden zusteht.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

 

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