Fürs Vaterland sterben – im Mutterland leben (Fh 2009/2)

Eine ganz andere Sicht auf unsere Zivilisation

von Dr. Kirsten Armbruster

Die Autorin wird Gastrednerin sein bei der Jubiläumsfeier unseres Verbandes Anfang Oktober 2009, Programm siehe Seite 6: „Starke Mütter verändern die Welt“

In der Schule werden die Weichen für unsere Sicht auf die Gesellschaft gestellt, in der soziologischen Fachsprache heißt dies, dass Werte internalisiert werden. Was dort unterrichtet wird, gilt als wahr, als wissenschaftlich bewiesen, und in seinem Wahrheitsgehalt hat es besonderes Gewicht, weil Schule durch Vater Staat autorisiert wird.

Nehmen wir einmal das Fach Geschichte. Die Geschichte, die dort gelehrt wird, ist die Herrschaftsgeschichte des weißen Mannes, und dies ist eine Geschichte des Krieges. Eine Schlacht jagt die nächste, und es wimmelt nur von siegreichen Helden. überhaupt fängt Geschichte erst so richtig in der Antike an, zu einem Zeitpunkt, wo monumentale Gebäude aus Stein entstehen, die männlichen Herrschern ein Denkmal setzen. Wir lernen, dass mit der Antike die Zivilisation beginnt, und „Zivilisation“ wird gleichgesetzt mit: „Der weiße Mann herrscht, Kriege gab es schon immer und Menschsein ist an diese Paradigmen geknüpft.“ Wenn mit diesen Paradigmen die Zivilisation beginnt, so kann davor ja nur Barbarei geherrscht haben. Durch unsere Art, Geschichte zu lehren, wird genau dies assoziiert. Aber stimmt dies auch?
In der Schule wird außerdem das Fach Religion unterrichtet. Religion beginnt dort mit der Schöpfungsgeschichte. Die Welt wurde in sieben Tagen durch einen männlichen Gott geschaffen. Alternativ wird zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt der biologische Ansatz der Evolutionstheorie gelehrt, hier wird auf Gott verzichtet. Dafür haben wir es nach humanistischer Lesart mit einer reiferen, da wissenschaftlichen Sicht auf die Dinge zu tun. Ganz klar ist jedenfalls: „Wenn schon Gott, dann ist das Göttliche ursprünglich männlich, und der männliche Monotheismus ist zivilisatorisch ein großer Fortschritt.“ Dies wird uns ebenfalls assoziiert. Nicht zufällig fallen Antike und die Entstehung des jüdischen Monotheismus, der auch heute noch die Basis aller drei monotheistischen Religionen wie Judentum, Christentum und Islam ist, in dieselbe Zeitdekade. Fassen wir noch einmal zusammen: Zivilisation bedeutet: Der weiße Mann herrscht, Kriege gab es schon immer und Gott ist männlich.

In der Schule wird auch Arbeitslehre oder Wirtschaft unterrichtet. Nachdem die Menschen sich vom ersten Wirtschaftssektor, der sogenannten Urproduktion oder Subsistenzwirtschaft immer mehr abgekoppelt haben, können sie zunehmend nur überleben, wenn sie für Geld entweder in der Industrie oder im Dienstleistungsgewerbe tätig sind. Dies gilt als Fortschritt. Die Summe der volkswirtschaftlichen Leistungen wird im Bruttoinlandsprodukt (BIP) zusammengefasst, es ist die Summe der inländischen Wertschöpfung. Das BIP gibt angeblich den Gesamtwert aller Güter (Waren und Dienstleistungen) an, die innerhalb eines Jahres hergestellt wurden und dem Endverbrauch dienen. Somit erfasst es alle produktiven Tätigkeiten, aber es erfasst auch zunehmend dematerialisierte Spekulationen. Reproduktionsarbeit als Dienstleistungsgut, d.h. das Aufziehen von Kindern, die Pflege von Kranken und älteren, die Hausarbeit, ohne die eine Gesellschaft nicht funktionsfähig ist, wird aber bewusst nicht in die geldwerte Wertschöpfung mit eingerechnet, obwohl es eine Reihe Berechnungen dazu gibt und dabei festgestellt wurde, dass diese Tätigkeiten in Geldwerten umgerechnet einen nicht unerheblichen Teil des BIP ausmachen würden. Zahlen von 1992 belegen, dass die privaten Haushalte in Deutschland durch Gratis-Arbeit eine Produktionsleistung von umgerechnet 500 Milliarden Euro erbringen und damit aus ökonomischer Sicht eine ähnliche Größenordnung erreichen wie die gesamte Warenproduktion der Landwirtschaft und des verarbeitenden Gewerbes zusammen. Sicherlich ist es kein Zufall, dass der größte Teil der Reproduktionsarbeit von Frauen erledigt wird. Die Veränderungsrate des realen BIP dient als Messgröße für das Wirtschaftswachstum der Volkswirtschaften. Auch hier lernen wir: Eine prosperierende Zivilisation beruht auf unendlichem Wirtschaftswachstum. Wir leben zwar auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen, aber dennoch ist exponentielles Wirtschaftswachstum möglich
dank Wissenschaft, Technik und Politikern, die nicht müde werden, dieses Glaubensdogma mantrahaft zu wiederholen.
Unsere Gesellschaft steht also ganz fest auf vier Füßen: Der weiße Mann herrscht, Kriege gab es schon immer, Gott ist männlich und die Möglichkeiten unseres produktiven Wirtschaftswachstums sind unendlich. Diese Gesellschaftsform nennt man Patriarchat, väterliche Herrschaft. Die Basis dieser Gesellschaftsform wird oben zusammengeführt zu einer Pyramide und sie ist gut für einige wenige, die sich oben an der Spitze der Pyramide befinden. Diese Gesellschaftsform ist nicht gut für die Mehrheit der Menschen, seien es nun Männer, Frauen oder Kinder, und sie ist auch nicht gut für die Wesen, mit denen wir uns die Erde teilen, und auch nicht für die Erde selbst.
Nun gibt es viele gesellschaftskritische Bewegungen, die dieses pyramidale Paradigmenfundament in Frage stellen. Der Feminismus ist eine von ihnen.
Der herkömmliche Feminismus à la Alice Schwarzer hat einiges bewusst gemacht und verändert, er hat die Positionen von Frauen bis zu einem gewissen Grad innerhalb des Systems gestärkt, aber er hat nicht an der Basis des Systems gerüttelt.

Matrivivialer Feminismus – von den Medien ignoriert
Der Differenzfeminismus, der matriviviale Feminismus (das heißt, auf mütterlichen und dem Leben verpflichteten Werten basierend), der die Basis des Patriarchats grundlegend, d.h. von der Wurzel her in Frage stellt, wird von den Medien dagegen beharrlich ignoriert. Denn dem Differenzfeminismus genügt es nicht, dass Frauen dasselbe machen können wie Männer, denn herrschaftsmachtbesessene Männer haben unsere Welt an den Rand des Kollapses gebracht und herrschaftsmachtbesessene Frauen würden nichts anderes tun. Dem Differenzfeminismus und daraus entwickelt dem matrivivialen Feminismus liegt vielmehr das Gedankengebäude vieler Denkerinnen und Denker zugrunde, die aus dem Erfahrungsschatz von Müttern eine andere, an der Fürsorge ausgerichtete Gesellschaftsbasis, formulieren. Macht ist dann nicht mehr Herrschaftsmacht, sondern sie ist definiert als Seinsmacht, als Macht, Leben zu schenken und Leben zu bewahren. Muttersein wird vom herkömmlichen Feminismus als Reduktion interpretiert, tatsächlich ist es ein Privileg, nämlich das Privileg, Leben bewusst zu gebären und dann gemeinsam mit fürsorglichen Männern aufzuziehen.

Ein Matriarchat ist kein umgekehrtes Patriarchat
Das Geschichtsverständnis der matrivivialen Denkerinnen beruht auf der Tatsache eines ursprünglichen, weltweit verbreiteten Matriarchats, dessen Vorhandensein von den meisten HistorikerInnen völlig verdrängt, ja sogar negiert, wird. Matriarchat ist nicht in Umkehrung des Patriarchats als Herrschaft der Mütter zu übersetzen, sondern in der Bedeutung „am Anfang die Mütter“. Da Menschen am Anfang beobachten konnten, dass nur Frauen neues Leben in Form der Geburt schöpfen konnten, waren die ersten Gesellschaften natürlicherweise um die Mütter zentriert. Und so, wie aus den Menschenfrauen neues Leben entstand, so konnte bestehendes Leben nur in Abhängigkeit von der Erde gedeihen, die folglich ebenfalls mit den mütterlichen Attributen verbunden wurde. Alle Urreligionen sprechen von Mutter Erde, und das ursprünglich Göttliche, das Lebensschöpferische, war natürlich weiblich. Archäologische, ethnologische und mythologische, einschließlich landschaftsmythologischer Forschungen, haben ergeben, dass frühere ebenso wie heute noch bestehende Matriarchate nicht kriegs- und herrschaftsbasiert waren und sind.

Heide Göttner-Abendroth, Marija Gimbutas, Barbara Walker, Edwin O. James, Gerda Weiler, Luisa Muraro, Kurt und Isabelle M. Derungs, Christa Mulack, Irene Fleiss und viele andere haben zu Matriarchaten und zum weltweiten Kult der Großen Göttin zahlreiche Veröffentlichungen gemacht, aber das in der Schule eingeimpfte patriarchale Weltbild sitzt so tief, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Wird menschliche Geschichte dagegen vorurteilsfrei betrachtet, so erkennt man als Paradigmen: Geschichte ist keine rein männliche Herrschaftsgeschichte, es gab und gibt bis heute an den Müttern orientierte, friedliche, egalitäre Konsensgesellschaften, das Göttliche war ursprünglich weiblich und Wirtschaft muss an Kreisläufe gebunden sein.

Unsere Welt steckt in einer umfassenden weltweiten Krise: finanz- und wirtschaftspolitisch, ökologisch, aber auch moralisch. Von friedensbasierten, matriarchalen Kulturformen, von göttinnen- und damit erdbasierten Glaubensformen, von lebenserhaltenden kreisförmigen Wirtschaftsformen und von einer müttermachtbewussten Zeit könnten gerade jetzt gesellschaftserneuernde Impulse für eine echte Zivilisation ausgehen. Eine müttermachtbewusste Zeit macht nämlich, anders als wir in der Schule lernen, den größten Teil der Menschheitsgeschichte aus, und da die Erde selbst nun mal eine Mutter ist und Leben damit auf dieser Erde nur auf mütterliche Weise funktioniert, wird die Menschheit, ob sie will oder nicht, sich dieser Werte erinnern müssen, denn nur im Mutterland lebt man, im Vaterland stirbt man.

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Dieser Aufsatz erschien zuerst im Februar 2009 unter dem Titel „Für das Vaterland stirbt man, im Mutterland lebt man“ bei zeitgeist-online.de und in Wege Heft 4/2008

Zur Autorin:
Dr. Kirsten Armbruster, geb. 1956, aufgewachsen in Ägypten, Studium der Agrarwissenschaften an der Universität in Göttingen, Promotion in Physiologischer Chemie in Hannover, Berufserfahrung im Vertrieb im Bereich Mikrobiologie und Chemischer Analytik, gründete 1996 Courage Consulting & Publishing und arbeitet seitdem im Nebenberuf als selbstständige Trainerin (weitere Informationen: www.courageconsult.de).
Kirsten Armbruster ist hauptberuflich Mutter von vier Kindern im Alter von 13 bis 18 Jahren. Zudem ist sie kommunalpolitisch aktiv. Bei all ihren Projekten wird sie von ihrem Mann Franz Armbruster, dem biologischen und sozialen Vater ihrer vier Kinder, tatkräftig unterstützt.
Die Autorin prägt in ihrem Buch „Starke Mütter verändern die Welt“ den Begriff einer „matrivivialen Gesellschaft“. Matri bedeutet, dass die Mutter die sakrale Mitte der Gesellschaft bildet, und vivial meint, dass die Gesellschaft dem Leben verpflichtet ist.
Kirsten Armbruster, Starke Mütter verändern die Welt. Was schiefläuft und wie wir Gutes Leben für alle erreichen. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2007. ISBN: 978-3-922499-97-8. 204 Seiten, 19,80 €.
Vorgestellt in Fh 3/2008, S. 4

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