Entlässt die Emanzipation ihre Töchter? (Fh 2007/4)

von Dr. Antje Schrupp

Entlässt die Emanzipation ihre Töchter? (1)
Ja, das tut sie.

Wir sehen das wohl alle mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Emanzipation ist erwachsen geworden, sie heißt Bundeskanzlerin und Gender Mainstreaming, Generationenpolitik und Soft Skills. Und die Töchter?

Das sieht das lachende Auge: Überall selbstbewusste Frauen, junge und alte, die hinaus in die Welt ziehen. Gestandene Redakteurinnen, die in ihrer Zeitung über den Feminismus diskutieren. Eine ganze Republik, die sich entrüstet, wenn jemand den Marsch zurück in die 50er Jahre propagiert. Frauen aller Generationen, die neue Orte und neue Beziehungsformen schaffen. Familienministerinnen, die sich ernsthaft bemühen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in gesetzliche Formen zu gießen. Viele Frauen, die ihr Frausein nicht mehr als Handicap verstehen, sondern als Ausgangspunkt für ihr Engagement in der Welt.

Und das sieht das weinende Auge: Junge, selbstbewusste Frauen, die jedoch mit einer Welt konfrontiert sind, die, so scheint es, nur noch von Konkurrenz und Konsum geprägt ist und alles der marktwirtschaftlichen Logik unterordnet. Fernsehsendungen und Bücher, die wieder eine große Faszination für alte Biologismen entwickeln, nach dem Motto „Typisch Frau, Typisch Mann”, wo das Frausein so behandelt wird, als sei es eine zwangsläufige Folge von Genen, Hirnströmen oder der Evolution. Eine Kultur, die ihre Haus- und Fürsorgearbeit abschiebt auf schlecht bezahlte, oft illegal hier lebende Migrantinnen.
Politikerinnen, die die Chancengleichheit für Frauen gegenfinanzieren, indem sie Hartz-IV-Gelder kürzen. Und Akademien und Institutionen, die glauben, in diesen emanzipierten Zeiten auf das Thema „Frau” verzichten zu können.

Die Emanzipation, so sehen es viele, ist zwar weitgehend abgeschlossen, aber noch nicht ganz. Für dieses „noch nicht ganz” der Emanzipation kann man natürlich viele Belege anführen:
Noch immer verdienen Frauen weniger Geld als Männer, noch immer sind sie im Topmanagement der Unternehmen fast gar nicht vertreten, noch immer sind sie es, die sich überwiegend um Haus- und Familienarbeit kümmern. Aber ist dieses „noch nicht ganz” der Emanzipation wirklich ein überzeugender Grund für die Notwendigkeit des Feminismus?

Ich bin der Meinung, dass wir auch dann Feminismus brauchen würden, wenn es keine Spur von Frauendiskriminierung mehr geben würde. Mehr noch: Gerade wenn Frauen emanzipiert und gleichberechtigt sind, brauchen wir den Feminismus dringender denn je.
Das Anliegen des Feminismus ist nämlich nicht einfach nur Emanzipation, also die Gleichstellung der Frauen mit den Männern.
Sondern es geht um die Beförderung der weiblichen Freiheit in einem viel umfassenderen Sinn. Feminismus, so würde ich eine Definition versuchen, will dem Wünschen und Wollen von Frauen zu mehr Einfluss verhelfen.
Und die Frage, was Frauen wünschen und wollen, stellt sich ja in emanzipierten Zeiten erst recht: Ja, wir sind jetzt Chefinnen, wir haben Geld, wir haben Einfluss, jedenfalls viel mehr als vor 30 Jahren. Wir sind nicht mehr auf bestimmte Frauenrollen festgelegt.
Und was machen wir nun mit diesen Möglichkeiten? Wie wünschen wir uns die Welt? Welche Fragen beschäftigen uns? Welche Lösungsvorschläge können wir entwickeln? Was ist ein gutes Leben für alle?

Dreißig Jahre neuere feministische Forschung hat auf vielfältige Weise die Einsicht gebracht, dass das Problem des bürgerlichen Patriarchats nicht nur der Ausschluss und die Rechtlosigkeit der Frauen war, sondern dass diese Diskriminierung nur ein Symptom war für tiefer liegende Irrtümer der männlichen symbolischen Ordnung: Ein solcher Irrtum ist zum Beispiel die symbolische Abwertung von allem, was ehemals in die weibliche Sphäre fiel, nämlich die Sorge um die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen, vor allem für solche, die nicht selbst für sich sorgen können, wie Kinder, Kranke, Hochaltrige.
Ein anderer Irrtum war das universalistische Weltbild, das die Vielfalt der Welt und die Pluralität der Menschen auf einen höher stehenden Nenner zurückführt, in dem alle Differenzen aufgehoben sind: Die Menschenrechte, Gott, die Vernunft – ein Irrtum, der dazu beigetragen hat, dass der Umgang mit kulturellen Differenzen in einer globalisierten Welt so schlecht gelingt, was zu viel Leid führt, zu Kriegen, Umweltzerstörung, Elend und Armut.

Der Feminismus ermöglicht uns einen anderen Blick auf das Ganze dieser Welt und nicht nur auf die spezielle Situation der Frauen darin. Ohne diese Ressource der weiblichen Differenz, davon bin ich überzeugt, lassen sich die Probleme unserer Gesellschaft nicht in den Griff kriegen.

Ein erster Schritt wäre es, wenn wir die Unzufriedenheit vieler Frauen mit dieser Welt und ihrer Ordnung wahrnehmen und thematisieren. Diese Unzufriedenheit äußert sich heute weniger im Protest, als vielmehr in den Lebensentscheidungen vieler Frauen. Frauen arbeiten sehr viel häufiger als Männer Teilzeit, vor allem wenn sie Kinder haben. Frauen verdienen weniger Geld als Männer – was sicher mit alten Vorurteilen zu tun hat, aber natürlich auch eine Folge davon ist, dass Frauen andere Ansprüche an eine befriedigende Arbeit stellen und andere Prioritäten setzen. Frauen verbringen mehr Zeit mit Hausarbeit. Fast alle pflegebedürftigen Menschen, die zu Hause leben, werden von Frauen gepflegt. Über 80 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege sind Frauen.

Wir haben uns inzwischen angewöhnt, die sexuelle Differenz schon rein sprachlich zu eliminieren, indem wir fast nur noch geschlechtsneutralisierende Worte benutzen, zum Beispiel von Eltern reden, auch wenn eigentlich fast nur Mütter gemeint sind, von Pflegekräften statt von Krankenschwestern und so weiter. Diese Art der sprachlichen Verschleierung von Realitäten wird inzwischen geradezu als Vorbedingung für Geschlechtergerechtigkeit verstanden. Von „Müttergeld” zu sprechen würde heißen, einzugestehen, dass das seit zwanzig Jahren propagierte Projekt, die Haus- und Fürsorgearbeit zu gleichen Teilen den Männern zu übertragen, vorläufig gescheitert ist. Damit wäre aber die große Frage, vor der unsere emanzipierte Welt heute steht, nach wie vor unbeantwortet:

Wer soll eigentlich die früher von Hausfrauen gratis geleistete Arbeit, die Haus- und Fürsorgearbeit, tun, wenn es keine Hausfrauen mehr gibt, und zu welchen Bedingungen? Diese Frage liegt ja letzten Endes sämtlichen politischen Themen, die heute auf der Agenda stehen, zugrunde – der Gesundheitspolitik, der Pflegeproblematik, der Bildungsmisere, den gefährdeten Beziehungen.

Die Antwort: Männer und Frauen sollen sie zu gleichen Teilen machen, funktioniert offenbar nicht. Dies einzugestehen würde bedeuten, dass wir nach anderen Lösungen suchen müssten. Dass tiefgreifendere Veränderungen in unserem Verständnis von Politik, von Wirtschaft, von sozialen Beziehungen notwendig sind, als nur die Gleichheit der Geschlechter zu proklamieren.

Denn es ist ja kein Wunder, dass zwar Frauen mit viel Elan und Engagement sich die ehemals männlichen Bereiche unserer Gesellschaft erobert haben, die „Emanzipation” der Männer jedoch noch auf sich warten lässt – angesichts der symbolischen Hierarchisierungen dieser Sphären, also ihrer Aufteilung in eine höhere, wichtigere, prestigeträchtige Welt der Öffentlichkeit, der Politik und des Erwerbslebens und in die niedrigere, unwichtigere, langweilige des Haushalts und der Pflege- und Fürsorgearbeit. Eine Hierarchisierung, die eine Folge des patriarchalen dualistischen Denkens ist, und die handfeste finanzielle und ideelle Benachteiligungen für alle mit sich bringt, die diese Arbeiten übernehmen.
Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten herausgearbeitet, dass auch die Frauen universale Werte und Kultur geschaffen haben, dass die Arbeit der Frauen im so genannten „häuslichen” Bereich, in der konkreten Sorge für die Bedürfnisse der Menschen und vor allem derer, die sich nicht selbst versorgen können, eine kulturschaffende Arbeit ist und nicht etwas rein Biologisches und Vorpolitisches, wie es die männliche Kultur immer behauptet hat.

Die Assimilation der Frauen an die Welt der Männer ist heute nicht mehr nur eine feministische Utopie, sondern offizielle Regierungsvorgabe. Richtig viel Geld wird dafür in die Hand genommen, für Elterngeld, Krippenplätze und dergleichen. Das alles ist unbestreitbar richtig und gut. Allerdings müssen wir auch sehen: Der Feminismus ist heute ein Hauptargument derer geworden, die den neoliberalen Kapitalismus vertreten.
Es ist sicher kein Zufall, dass die CDU das Elterngeld und das Krippenthema gerade jetzt entdeckt, wo die Unternehmen anfangen, sich über einen drohenden Fachkräftemangel Sorgen zu machen.

Es ist nicht eine weibliche Natur, sondern eine weibliche Kultur, um die es hier geht.
Wenn nur wenige Frauen bereit sind, hohe Managementposten zu übernehmen, dann sollten wir nicht nur fragen, was die Frauen falsch machen, warum sie nicht karriereorientiert genug sind, ob es vielleicht an dem Leben der Steinzeitmenschen liegt oder an den Hirnströmen, die bei Frauen in eine andere Richtung fließen. Und wir sollten auch nicht versuchen, diese Differenz auszumerzen, indem wir Frauen in Kurse schicken, wo sie lernen, die Ellenbogen auszufahren und sich in der Kunst der Selbstdarstellung zu üben. Sondern wir könnten doch genauso gut fragen, was denn mit dieser Art des Wirtschaftens vielleicht nicht in Ordnung ist, wenn viele Frauen sie so unattraktiv finden.

Die Frauen, die heute beruflich kürzer treten, weil sie Ressourcen für Haus- und Familienarbeit haben wollen, sind ja nicht zufrieden mit der Situation. Feminismus hieße doch, von einer Welt zu träumen und zu versuchen, sie zu gestalten, in der die Fürsorgearbeit für andere nicht mehr zu Armut führt. Einer Gesellschaft, in der alle Arten des Arbeitens anerkannt sind. Die sich nicht in voller Gänze der irrationalen Logik des Marktes unterwirft. Weil sie nämlich der Tatsache Rechnung trägt, dass sich menschliche Beziehungen nicht rationalisieren lassen, dass Pflege keinen Profit abwirft, dass Bildung nicht maschinell abgewickelt werden kann.

Frauen sind nicht dämlich, wenn sie versuchen, all diese Erfordernisse so gut wie möglich auszubalancieren, sondern sie übernehmen Verantwortung für diese Welt. Sie sind Pionierinnen für eine Entwicklung, die vor uns steht, auch angesichts der demografischen Entwicklung, die uns daran erinnert, dass wir alle wieder einmal auf diese Fürsorgearbeit anderer angewiesen sein könnten.

Wir müssen also das Know-how der Frauen aus der Haus- und Fürsorgearbeit stärker in die politischen Verhandlungen hinein holen.

Was macht eigentlich die Qualität dieser Arbeit aus? Wie können wir sie bewerten und entlohnen? Wenn es die gratisarbeitende Hausfrau nicht mehr gibt und Männer nicht in die Bresche springen? Der kapitalistische Markt scheint das nicht besonders gut zu bewältigen.
Muss hier vielleicht eine andere Logik greifen als die von Konkurrenz und Profitdenken? Und könnte die Bereitschaft vieler Frauen, gegen ihre wirtschaftlichen Interessen sich dieser Arbeit zu widmen, auf diesem Weg helfen? Was motiviert sie eigentlich dazu, wie sehen sie ihr Engagement, was wünschen sie sich? Oder anders gesagt:
Wir brauchen mehr Erzieherinnen, Krankenschwestern, Putzfrauen, Hausfrauen in den Talkrunden und weniger Statistiker, Meinungsforscher und Psychologen.

Sicher, wir müssen genau hinschauen, damit sich hier nicht nur wieder die alten Geschlechterstereotypen Bahn brechen. Doch wir dürfen auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Es könnte eben auch die weibliche Liebe zur Freiheit und das Begehren nach einer Welt sein, in der die Dinge anders und besser organisiert sind als derzeit.

Damit würden wir auch an die Geschichte der Frauenbewegung anknüpfen, die ja, wenn man genauer hinschaut, noch nie eine Lobbyvertretung von Fraueninteressen war.
Sondern der es immer um eine gute Gesellschaft allgemein ging. Um gutes Leben für alle Menschen.

Anmerkung:
1) Dem Artikel liegt der Vortrag zu Grunde, den die Journalistin und Politologin Dr. Antje Schrupp im Juni 2007 an der Ev. Akademie Bad Boll gehalten hat (siehe auch Fh 03/2007: Die neue „F-Klasse“) Das vollständige Vortragsmanuskript ist veröffentlicht unter www.antjeschrupp.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert