Mehr Wert – vor allem die Familien (Fh 2007/4)

von Sintje Sander-Peuker

Ein gutes Jahr ist vergangen, seit der Bundestag die massivste Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen hat. Statt 16 beträgt sie seit Jahresanfang 19 Prozent. Inzwischen machen in unserem Land die Verbrauchssteuern 53 Prozent der öffentlichen Einnahmen aus. Dazu gehören die Ökosteuer und die mit der Mehrwertsteuer angehobene Versicherungssteuer. Es trifft vor allem Familien hart. Ein Grund: Die Verbrauchssteuern verschonen das Existenzminimum der Kinder nicht – obwohl das Bundesverfassungsgericht klar fordert, dass der Staat nicht auf Einkommensteile der Eltern zugreifen darf, die sie für den Unterhalt ihrer Kinder brauchen. Eine Schieflage, auf die der Deutsche Familienverband immer wieder hingewiesen hat.

Siegfried Stresing ist Bundesgeschäftsführer des DFV und Vater von fünf Kindern. Und er will sich nicht zufrieden geben mit der aktuellen Situation. Stresing schloss sich der Aktion einer sechsköpfigen Familie an und legte in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde ein. Die Familien wehren sich gegen die Anhebung der Mehrwert- und Versicherungssteuer, weil sie durch die Kinder einen höheren Verbrauch haben, stärker belastet sind als kinderlose Menschen mit gleich hohem Einkommen. Sie wehren sich dagegen, dass der Gesetzgeber mit einem Teil der erhöhten Mehrwertsteuer die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung senkt. Dies führe pro Kopf zu einer ungleich höheren Nettoentlastung für Singles als für Familien, heißt es in der Begründung der Beschwerde. Die Familien argumentieren weiter, dass der Gesetzgeber seine Verpflichtungen aus den Verfassungsaufträgen vom „Trümmerfrauenurteil” (7.7.1992) und vom „Pflegeurteil” (3.4.2001) verletze. Die höchsten Richter hatten damals vorgegeben, künftig mit jedem Schritt der Gesetzgebung die Benachteiligung von Familien abzubauen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer verschärft aber die Benachteiligung der Familien noch einmal.

Wann im Fall der Mehrwertsteuer mit einem Ergebnis zu rechnen ist, kann Siegfried Stresing nicht sagen. Geduld hat er in jedem Fall schon bewiesen, denn seit 1996 setzt er sich gemeinsam mit zwei Vätern auch noch gegen die Beitragslast zur Rentenversicherung gerichtlich zur Wehr. Die drei Männer beantragten damals bei ihrem zuständigen Rentenversicherungsträger, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), aus der Beitragspflicht entlassen zu werden, und erhoben nach erfolglosem Vorverfahren Klage gegen die BfA bei den Sozialgerichten. Zusätzlich wandten sich zwei der Kläger noch an ihre Krankenkassen – diese sind für den Einzug der Beiträge die zuständigen Träger. Von dort wurden sie an die BfA weiterverwiesen. Schließlich befand das Sozialgericht 2003 (sieben Jahre nach der ersten Klage), nicht die BfA, sondern die Krankenkassen seien die richtigen Beklagten, und das Verfahren begann noch einmal von vorn. Inzwischen wartet Stresing mit seinen Mitstreitern auf eine Reaktion des Bundesverfassungsgerichtes – im November 2006 hatten sie Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Eigentlich sei er kein Freund von juristischen Auseinandersetzungen, betont Stresing. Doch wenn der Gesetzgeber eindeutige Hinweise beharrlich missachte und versuche, sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben „vorbeizuhangeln”, bleibe kein anderer Weg. Was motiviert ihn im Fall der Mehrwertsteuer, sich an das höchste deutsche Gericht zu wenden? „Der Gesetzgeber nimmt in immer größerem Umfang Geld über Verbrauchssteuern ein”, sagt Stresing. „Ich habe Sorge, dass sich diese Tendenz weiter fortsetzt. Und die will ich stoppen.” Höhere Verbrauchssteuern belasten vor allem Familien, denn sie sind gezwungen, einen vergleichsweise großen Teil des Einkommens für den Konsum auszugeben. Wenig bleibt da übrig, zum Beispiel für Vorsorge oder Geldanlage, die die Eltern im Alter absichern könnten. Deshalb weist Stresing in seiner Beschwerde auch auf eine Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München hin. Sie trägt den Titel „Die fiskalische Bilanz eines Kindes im deutschen Steuer- und Sozialsystem” und stammt aus dem Jahr 2005. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass „Familien mit jedem Kind im Durchschnitt ein kleines Vermögen an den Staatshaushalt transferieren”. Die Eltern tragen demnach die Kosten für ihre Kinder allein, doch ihr „Nutzen” komme unter finanziellen Gesichtspunkten auch der Gesellschaft zugute. Betrachtet man den Lebenszyklus eines Kindes mit durchschnittlichem Erwerbsverhalten unter den Bedingungen der heutigen Systeme, beträgt dieser Überschuss zugunsten der Allgemeinheit rund 80.000 Euro. „Obwohl es mir widerstrebt, Kinder in Geld aufzuwiegen, darf man diesen Aspekt nicht vernachlässigen,“ sagt Stresing.

Bisher blieben alle Mahnungen von Kritikern bei der Politik ungehört. Deshalb habe er sich zur Verfassungsbeschwerde gegen die erhöhte Mehrwertsteuer durchgerungen, sagt der DFVBundesgeschäftsführer. Sollte die Entwicklung weiter in Richtung steigende Steuereinnahmen gehen, muss aus seiner Sicht ein Weg gefunden werden, um die Familien zu entlasten. Zumindest der Anteil der Verbrauchssteuern, der auf das Existenzminimum der Kinder entfällt, müsse pauschal – wie etwa das Kindergeld – zurückerstattet werden.

Quelle:
1) Beitrag aus DFV-Familie 04/2007.
Der vollständige Text ist abzurufen unter www.deutscher-familienverband.de

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