Paradigmenwechsel – Neubewertung der Arbeit von (Familien-)Frauen und Männern – Fh 2004/3

von Monika Bunte

Die Zentralisierung fast aller Wirtschaftsbereiche ist weltweit nahezu abgeschlossen.
Die Zentralisierung fast aller Wirtschaftsbereiche ist weltweit nahezu abgeschlossen. Der letzte und volkswirtschaftlich größte Bereich, der wegen seines immensen Arbeitsbedarfs lange nicht zentralisiert werden konnte, ist die Hauswirtschaft. Es handelt sich in der Bundesrepublik im häuslichen Bereich um 96 Milliarden unbezahlte Arbeitsstunden. Dieser Zahl stehen im Erwerbsbereich 60 Milliarden bezahlte Arbeitsstunden gegenüber, d. h. das Verhältnis unbezahlt zu bezahlt ist 3 : 2. Die unbezahlten Arbeitsstunden werden überwiegend von Frauen erbracht.

Die ökologische Frage
All die zeitraubende Arbeit, die noch in meiner Kindheit in den einzelnen Haushalten und umweltverträglich geleistet wurde, wird heute weitgehend zentral in Fabriken energieaufwändig und umweltbelastend erledigt. Nahrungsmittel werden industriell produziert, haltbar gemacht, eingetütet, eingeschweißt und quer durch Europa zur Verbraucherin transportiert, die die Speisen nach wenigen Minuten aus der Mikrowelle holt.

Die Befreiung von einem Teil der Arbeit für Familie und Haushalt hängt zusammen mit einem exorbitanten Energieeinsatz, schon in Anbetracht der Transportwege. Deshalb ist es meiner Meinung nach fahrlässig, einen vollen Erwerbsarbeitsplatz für jeden Mann und jede Frau zu fordern und dabei die ökologische Frage zu vernachlässigen.

Auf die Forderung, die in diesem Zusammenhang immer wieder erhoben wird, für alle den Sechs-Stunden-Tag einzuführen, komme ich später zurück.

Ich habe bis hierher mehrere Male das Wort Arbeit verwendet. Im allgemeinen wird seit der industriellen Revolution vor gut 200 Jahren nur die bezahlte Erwerbsarbeit als Arbeit bezeichnet. Das Wort ArbeitsWELT suggeriert, dass das bisschen Erwerbsarbeit (3 : 2!) schon die ganze WELT ist. Ich nenne Ihnen einige andere Begriffe, die in aller Munde sind: Arbeitsmarkt, Arbeitsvertrag, Arbeitslosigkeit, Bündnis für Arbeit, Arbeitnehmer, Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosenstatistik usw.

Familienarbeit ist Arbeit
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nicht einen erweiterten Arbeitsbegriff brauchen, sondern dass die Reduzierung des Arbeitsbegriffs auf bezahlte Erwerbsarbeit eine unzulässige und ignorante Verkürzung ist. Wenn der Arbeitsbegriff auf bezahlte Erwerbsarbeit verkürzt wird, liegt darin eine Ungerechtigkeit. Privat, in den eigenen vier Wänden mag durchaus die Meinung vorHERRschen, dass mit den Kindern in der Kinderstube Arbeit zu leisten sei. Aber diese private Meinung wird in der öffentlichkeit vergessen; denn sie ist nicht die herrschende Meinung. Da bedarf es noch vieler Aufklärungsarbeit, und dieser Aufklärungsarbeit hat sich der Verband der Familienfrauen und -männer verschrieben.

Die Erfahrung und das Wissen, dass Familienarbeit Arbeit ist, sind seit Jahrhunderten nicht mehr präsent. Falsche Zuschreibungen können sich, wenn sie einer profitierenden Gruppe nutzen, Jahrhunderte halten. Der ignorierte Teil der Arbeit wurde mit der Zeit unaussprechlich und in der Generationenfolge sogar undenkbar. Meiner Meinung nach sind wir jetzt so weit, dass wir wieder denken können: Familienarbeit ist Arbeit.

Bezahlung für Familienarbeit
Innerhalb des großen Komplexes Haus- und Familienarbeit beschränke ich mich nun auf einen Teilbereich, den ich im Folgenden verdeutliche. Für diesen Teilbereich fordere ich ein Entgelt. Das ist meine Utopie.

Von Familienarbeit wird gerne gesagt, sie sei unsichtbar. Das ist unzutreffend. Sie ist durchaus sichtbar, aber sie wird für „unsichtbar“ definiert. Sie wird hinter solchen Ausdrücken zum Verschwinden gebracht:
frau – kümmert sich
frau – sorgt vor
frau – schaut nach den Kindern
frau – betreut
frau – widmet sich
frau – bleibt zu Hause
kurz:   sie arbeitet nicht.

Es leuchtet sicher ein, wie sensibel wir mit Sprache umgehen müssen. Es genügt für eine frauenfreundliche Sprache nicht, die Endsilbe durch das große »I« zu erweitern. Sprache strukturiert unser Bewusstsein, und Sprache hat energetische Wirkungen. Das heißt, es werden durch Sprache Wirkungen auf unser Energiepotential ausgelöst, die stärken oder aber schwächen. Wenn eine Frau sich im Hinblick auf das Kindererziehen sagen lassen muss: sie arbeitet nicht, sie macht Pause (Babypause), sie macht Urlaub (wie Medien es immer noch drucken), dann zieht das energetisch herunter: es entwertet. Kinderlosigkeit Die Nichtachtung »weiblicher« Arbeit führt dazu, dass viele Frauen kinderlos bleiben, z. Zt. ein Drittel der Altersgruppe im gebärfähigen Alter, mit steigender Tendenz. Dieses Drittel gliedert sich so auf: 20 % der Hauptschul- und Realschulabgängerinnen 40 % der Akademikerinnen 60 % der Managerinnen 80 % der Professorinnen bleiben kinderlos. 5 – 10 % der Ehen waren auch früher kinderlos, oft zu großem persönlichem Kummer. Der Anteil der ungewollt Kinderlosen scheint zu steigen und bei 15 – 17 % zu liegen. Daneben gibt es aber einen gleich hohen Anteil von Frauen und auch Männern, die Kinder bewusst aus ihrem Lebensplan ausschließen. Diese persönliche Entscheidung gegen Kinder ist zu respektieren, aber es muss klar sein, dass sie etwas kostet. Daran knüpfe ich an, wenn ich über meine Utopie spreche.
Jeder und jede hat die Leistung des Großgezogenwerdens in Anspruch genommen. Als Ausgleich dafür wird die Leistung weitergegeben, entweder an eigene Kinder oder als finanzieller Beitrag an die Kinder fremder Leute. Man sagt immer, Eltern kriegen ein Kind, weil ihnen das Freude macht. Dazu genügt dann aber auch ein Kind. Und so haben wir neben dem Drittel Kinderloser ein zweites Drittel mit nur einem Kind. Erst im dritten Drittel der Ehen oder Partnerschaften gibt es zwei Kinder und eventuell sogar mehr. Sechste Kinder, so wie ich eins bin, kommen statistisch nicht mehr vor. Diese wenigen Zahlen zeigen das demographische Fiasko. Mit diesen Geburtenzahlen gelingt etwas Wichtiges nicht: nämlich der Einstieg in die Zukunft.

Humanvermögen und Globalisierung
Dieser Einstieg in die Zukunft ist ohne die Leistungen der Familie (der Eltern und der allein Erziehenden) nicht möglich. Denn in der Familie wird heute zu 90 % das erwirtschaftet, was die ökonomen »Humanvermögen« nennen. Für dessen Erforschung bekam der US-Amerikaner Gary Becker vor gut zehn Jahren den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Ohne dieses Humanvermögen kommt auch die Gesellschaft von morgen nicht aus: emotionale Intelligenz, soziales Bewusstsein, Solidaritätsempfinden, Konfliktlösungsbereitschaft – an all dem mangelt es heute schon. Wie wird eine solch defizitäre Gesellschaft sich entwickeln? Eines ist sicher: Familienarbeit ist globalisierungsrestistent. Diese Arbeit wandert nicht aus. Sie bleibt da, wo Familie ist. Drei Kinder schaffen zwei Erwerbsarbeitsplätze: Das ist ein statistischer Durchschnittswert. Auch das ist ein Grund, die Vorschläge für ein Entgelt für Familienarbeit ernsthaft zu diskutieren. In dem Maße, wie das Berufsbild „Mutter“ sich verknappt – und das ist jetzt ein marktwirtschaftliches Gesetz –, rückt es ins Bewusstsein und wird plötzlich teuer. Deshalb muss dieses Berufsbild jetzt bezahlt werden.

Einwände gegen Entgelt
Ein Entgelt für die Familienarbeit: das ist meine Utopie. Ich fange mit den Einwänden dagegen an: Dann kriegt ja jede etwas, die Bequeme und die Zahnarztgemahlsgattin. Die eine tut wenig und die andere hat es nicht nötig. Ich schließe mich hier mit meiner Argumentation Donna Leon an. In ihrem Krimi „Nobiltá“ lässt sie Kommissar Brunetti denken: „Ihm fiel ein, was Paola einmal gesagt hatte: … immer, wenn Leute unredlich argumentieren wollen, hatte sie gesagt, tischen sie ein so überzeugendes Beispiel auf, dass man unmöglich etwas dagegenhalten kann. Aber so zwingend der Einzelfall auch ist, das Gesetz hat sich an Grundsätzen und Allgemeingültigkeit zu orientieren. Einzelfälle können als Beweis nur für sich selbst und für nichts anderes dienen.“ So weit der Gedanke aus dem Roman.
Zu bedenken ist außerdem, dass es Unfähige und Faule in jedem Beruf gibt. Der zweite Einwand: Rollenfestschreibung (O-Ton Deutscher Frauenrat, konfessionelle Verbände landauf, landab, Hausfrauenbund). Ein Erziehungsgehalt hält Frauen von der allein selig machenden und alterssichernden Erwerbsarbeit ab. – Es ist ja nicht die Rolle, die schlecht ist, sondern es sind die Bedingungen, unter denen diese Rolle praktiziert werden muss. Eigenartigerweise tauchte das Stichwort ‚Rollenfestschreibung‘ bei der Einführung der Pflegeversicherung nicht auf, obwohl da Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt werden und obwohl da auch Geld fließt, wenn auch nicht direkt in die Hände der pflegenden Person. Im Hinblick auf die Alternative häusliche Pflege oder Altersheim war wahrscheinlich allen FunktionärInnen der Blick auf das eigene häusliche Gepflegt werden wichtig, und sie setzten die Rollenfestschreibung hintan, obwohl sie wahrlich stattfindet.

Bindungsforschung
Im Zusammenhang mit meiner Utopie möchte ich auf die neue Hirnforschung über die Entwicklung des kindlichen Gehirns hinweisen: Ein Kind sollte in den ersten drei Lebensjahren ohne Not nicht in fremde Hände gegeben werden. Es ist wichtig, Zeit für das Kind zu haben, damit die Bindungsfähigkeit wachsen kann. Wechselnde Bezugspersonen verwirren, und Kinder merken, wenn sie nur noch ein »Betreuungsproblem« sind.
Allerdings muss ich hier auch einen Blick auf die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der Mutter werfen. Eine zufriedene Familienfrau ist gut fürs Kind, eine unzufriedene, womöglich unglückliche Mutter ist es nicht. Hier möchte ich eine wichtige Anmerkung machen: Wenn Fragen anders als üblich gestellt werden, fallen die Antworten auch anders aus. Die Frage ist daher: Warum ist die Mutter, die bei einem kleinen Kind die Familienarbeit leistet, oft unzufrieden? Ist sie unzufrieden, weil sie nicht bei Aldi an der Kasse sitzt oder bei der Sparkasse hinter dem Schalter steht, oder ist sie unzufrieden, weil sie mit der Geburt des Kindes das eigene Geld und die Eigenständigkeit verliert und vom Ehemann/Partner/Sozialamt abhängig wird? Sie bekommt einfach kein Geld mehr, sie hat – gemäß ehelichem Güterrecht – nur noch Anspruch auf Taschengeld und Unterhalt, obwohl sie arbeitet wie zu kaum einer anderen Zeit ihres Lebens. Lebt sie – allein erziehend mit Kind oder Kindern – deshalb in einer kleinen Wohnung, weil das so schön ist oder weil der Einkommensüberhang der Leute ohne Unterhaltsverpflichtung die Familie vom Wohnungsmarkt verdrängt? Die herrschende Wohnungsbaupolitik sagt: Familien brauchen billige Wohnungen, also müssen Wohnungen stark subventioniert werden. Statt dessen könnte die Losung heißen: Die Familienarbeiterin braucht ein Gehalt für Familienarbeit.

Modelle der Finanzierung
An dieser Stelle sei gesagt, dass die Forderung der dhg, des Verbandes der Familienfrauen und -männer e.V., die weitestgehende ist von allen inzwischen zahlreichen Modellen, die sich mit einem Entgelt für Familienarbeit beschäftigen: Für eine Reihe von Jahren orientieren wir uns am sozialversicherungspflichtigen Durchschnittseinkommen, steuer- und sozialabgabenpflichtig, und zwar ab dem ersten Kind. Wird die Erwerbsarbeit in Vollzeit oder Teilzeit beibehalten und die Familienarbeit delegiert, so wird auch das Entgelt für Familienarbeit weitergegeben an Kinderfrau/Tagesmutter/Einrichtung. Die Subventionen für öffentliche Kinderbetreuung können entsprechend niedriger sein. Dann erst gibt es wirkliche Wahlfreiheit und Gleichberechtigung. Wahlfreiheit gehört zur Menschenwürde und daran mangelt es, aber hoffentlich nicht mehr lange. Unter den zahlreichen Modellen gibt es eines, das besonders gut durchgerechnet ist. Ich verweise bezüglich Finanzbedarf auf dieses Modell, auch wenn es hinter unserer Forderung zurückbleibt. Das Gutachten des Arbeitskreises für Familienhilfe von Leipert/Opielka hat erbracht, dass ein Entgelt für Erziehungsarbeit nicht an den Finanzen zu scheitern braucht. (Ein neueres und weiter gehendes Modell, MAKSIME von Hans Ludwig/Elisabeth Jünemann, wurde in Fh 1/2003 vorgestellt. Auch hier gilt: ein Entgelt für Familienarbeit ist finanzierbar. Der Unterschied zwischen Utopie und Realität ist der politische Wille.

Ich möchte noch auf das Stichwort »Sechs-Stunden-Tag für alle« am Beginn des Vortrages zurückkommen. Dazu ist zu sagen, dass diese Forderung seit dreißig Jahren gebetsmühlenartig erhoben wird, zusammen mit der Forderung, dass Männer die Hälfte der Haus- und Familienarbeit übernehmen sollen. Welche Ergebnisse haben die dreißig Jahre gebracht? -Spurenelemente. Ich setze dagegen die Forderung, die Familienarbeit zu bezahlen und das einmal dreißig Jahre lang auszuprobieren. Wahrscheinlich ist die Familienarbeit dann sogar für Männer interessant.

Endlich Wahlfreiheit
Bei Wahlfreiheit gäbe es Frauen, die kontinuierlich im Erwerb bleiben und kontinuierlich Karriere machen. Oder sie machen keine Karriere und bleiben zwanzig Jahre im Supermarkt an der Kasse. Das heißt, sie sind zwar in bezahlter Arbeit, haben aber null »Karriere«. Aber das nächste Beispiel muss nun wirklich für meine Utopie herhalten. Überschrift: Die Bundeswehr oder: was Vater Staat für seine Jungs tut, wenn sie als Zeitsoldaten gedient haben.
Die Bundeswehr bereitet Zeitsoldaten auf ein Leben nach der Kaserne vor. Ein Personalberater organisiert die Berufseinstiegsseminare für ausscheidende Offiziere. Auch die einfachen Zeitsoldaten werden betreut. In Bundeswehrfachschulen können sie sich in Kursen u. a. für eine Laufbahn im öffentlichen Dienst qualifizieren. Traineeprogramme werden angeboten. Ein fünfstelliger Betrag steht für Fortbildungskurse pro Person zur Verfügung. Was für Soldaten recht ist, sollte für Mütter billig sein! Zum Paradigmenwechsel würde auch gehören, dass es an allen allgemein bildenden Schulen ein Unterrichtsfach »Soziales Management« gibt, und zwar für Jungen und Mädchen, um Haushaltsführungskompetenzen zu erwerben. Aber das ist ein anderes Thema, das in Familienarbeit heute schon mehrfach behandelt wurde (z.B. Fh 4/2002).

Leicht geänderte und gekürzte Fassung eines Vortrages vom 13. April 2002 „Feministische Utopien“ bei der „Feministische Partei – Die Frauen“

Nachtrag der Redaktion:
Die Gemeinschaft Hausfrauen der kfd forderte anlässlich ihrer jährlichen Arbeitstagung „Alltagskompetenz in der Haus- und Familienarbeit – Bedeutung der Hauswirtschaft gestern, heute, morgen“, Hauswirtschaftliche Bildung als ordentliches Unterrichtsfach an allen allgemein bildenden Schulen zu etablieren.

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